Rettungspolitik - Eurokrise -Europa

Der wahre Preis der europäischen Rettungspolitik

Mittlerweile gehen die Auswirkungen der griechischen Schuldenmisere weit über die rein wirtschaftlichen und währungspolitischen Kosten der Rettungspolitik hinaus. Was werden die europäischen Spitzenpolitiker ihrer Rettungsdoktrin als nächstes opfern?

„Pot Committed“ von Krise zu Krise
Die griechische Regierung hat gestern nun doch den fälligen IWF Kredit in Höhe von 450 Millionen Euro zurückgezahlt, damit ist der offizielle Staatsbankrott erneut kurzfristig abgewendet. Man sollte besser gar nicht fragen, welche Kassen sie dieses Mal wieder geplündert haben, um das Geld zusammen zu kratzen. Einige hatten tatsächlich gehofft, dass Griechenlands Regierung die Drohungen des Innenministers, die Forderung des IWF nicht zu bedienen, um stattdessen Renten und Löhne auszuzahlen, wahr machen könne, somit offiziell zahlungsunfähig würde und endlich den ersehnten Grexit einleiten müsste.

Denn Griechenland befindet sich, wie immer, in akuter Finanznot und eine ernstzunehmende Reformliste, die eigentlich Bedingung für weitere Auszahlungen aus dem Hilfspaket sein sollte,  ist immer noch nicht von den Euro-Finanzministern abgesegnet worden. Tsipras und Varoufakis haben noch einmal eine Fristverlängerung bis zum 24. April erreicht, um endlich eine überarbeitete Liste mit Reformvorschlägen einzureichen. Doch es bleibt abzuwarten, ob die Mitgliedstaaten der Eurogruppe wirklich irgendwann die Schnauze voll haben, oder ob man sich aus Feigheit oder sonstigen Gründen ewig von Hilfspaket zu Hilfspaket, von Liste zu Liste und Gipfel zu Gipfel schleppen wird. Nicht Wenige rechnen eher mit einem Schrecken ohne Ende als einem Ende mit Schrecken, obwohl die Zahl der Menschen, die sich einfach nur noch einen Schlussstrich wünschen, sowohl im Norden wie auch im Süden jeden Tag ein bisschen größer wird.

Man kann die Staaten der Eurozone aktuell mit einem Pokerspieler vergleichen, der eigentlich weiß, dass er sein gesetztes Geld schon längst verloren hat und schon früher aus dem Spiel hätte aussteigen müssen, aber mittlerweile so viel Geld auf den Sieg gewettet hat, dass er das Ende des Spiels einfach abwarten muss. Beim Poker nennt man das „Pot Committed“.

Der Preis der Rettungspolitik
Doch während die europäischen Spitzenpolitiker weiter mit aller Macht an der Illusion festhalten, dass man Griechenland tatsächlich im Euro wird halten können, bemerken sie nicht, dass sie für ihre Rettungspolitik in Wahrheit noch einen viel größeren Preis bezahlen werden als nur die eingesetzten finanziellen Mittel.

Damit will ich natürlich nicht die dramatischen finanziellen Auswirkungen der Schuldenkrise für Europa oder Deutschland herunterspielen. Vor allem die durch die Niedrigzinspolitik der EZB verursachte, aber schleichende Enteignung der Sparer, die vor allem die deutsche Mittelschicht betrifft, hat gravierende Folgen, wie die hohen Mieten, Immobilienpreise und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, die ironischerweise immer der neoliberalen Ideologie oder den entfesselten Märkten zugeschrieben werden. Auch der Bundeshaushalt würde schwer durch einen griechischen Zahlungsausfall belastet und die vielbeschworene schwarze Null des Finanzministers würde diesem als erstes zum Opfer fallen.

Die reale Gefahr des Brexit
Doch auch die nicht direkt monetären Kosten der Rettungspolitik könnten gigantisch sein, denn während ganz Europa immer nur auf das politische Geschehen in Griechenland schaut und sich alle darum bemühen, dass es nicht zu einem Grexident kommt, vergessen Viele, dass eine viel größere Gefahr für Europa in einem Brexit, also dem Austritt Großbritanniens aus der EU, liegt.

Es liegt auf der Hand, dass die aktuelle europäische Rettungspolitik die ohnehin skeptischen Briten weiter verunsichert und die Bevölkerung eher dazu tendieren lässt, einen EU-Austritt zu befürworten. Diese Entwicklungen kann man zwar in vielen Ländern Westeuropas beobachten, doch nirgendwo scheint ein Austritt so wahrscheinlich zu sein wie im Vereinigten Königreich. Vor allem durch das Erstarken der europaskeptischen UKIP werden die konservativen Tories, die auch nach der Wahl weiterhin die Regierung stellen könnten, enorm unter Druck gesetzt. Sollte es nach der Wahl in Großbritannien tatsächlich zum von Premierminister Cameron angekündigten Referendum über die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens kommen, dann, so verheißen die Umfragen, könnte der Brexit tatsächlich Wirklichkeit werden.

Einen solchen Austritt würden in Deutschland wahrscheinlich vor allem diejenigen Kräfte begrüßen, die am meisten vor einem Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro warnen und am ehesten bereit wären, weitere Transfermaßnahmen für den Süden mit Steuergeldern zu finanzieren. Vor allem im linken Spektrum der politischen Parteien ist die Ansicht beliebt,  dass man die Briten doch bitteschön ziehen lassen sollte, wenn sie nicht mehr in der EU verbleiben wollten. Sie störten doch ohnehin immer nur die weitere politische Integration der Union mit ihrer Blockadehaltung und ihrem ständigen Beharren auf marktwirtschaftlichen Prinzipien oder notwendiger Subsidiarität. Es wäre spannend zu beobachten, ob diese Politiker auch den Griechen so einfach einen Austritt auf eigenen Wunsch zugestehen würden.

Doch man sollte sich von diesen emotionalen und revanchistischen Träumereien nicht verleiten lassen, einen Brexit zu befürworten. Ein Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union hätte weitaus dramatischere Konsequenzen, als das Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro, welches aus heutiger Sicht wohl ein Segen wäre. Noch in diesem Jahr wird Großbritannien Frankreich als zweitgrößte Wirtschaftsmacht Europas nach Deutschland überholen und das Königreich ist darüber hinaus auch sehr stark in den europäischen Wirtschaftskreislauf integriert und stellt mit London den wichtigsten Finanzplatz Europas. Vor allem an den Finanzmärkten könnte allein die realistische Möglichkeit eines britischen Austritts eventuell ähnlich gigantische Schockwellen auslösen, wie die Pleite von Lehman Brothers im Jahr 2008.

Die Kanzlerin sollte sich wirklich mehr den legitimen britischen Interessen widmen als den französischen oder den südeuropäischen, bevor ihr der wichtigste marktwirtschaftlich-orientierte Partner in der Europäischen Union abhandenkommt und sich die deutsche Regierung isoliert in einer Union der Etatisten wiederfindet. Dabei  braucht Europa dringender denn je mehr britischen Pragmatismus und weniger Ideologie französischer Prägung.

Moskau und das europäische Friedensprojekt
Neben all diesen Aspekten muss man sich auch die Frage stellen, wie es eigentlich bestellt ist um das Friedensprojekt Europäische Union. Der Wert dieses lang anhaltenden Friedens wird nicht von Wenigen höher bewertet als jegliche finanzielle Belastung, die jemals daraus erwachsen könnte und tatsächlich hat die Europäische Union einen sehr großen Teil zur europäischen Friedensordnung beigetragen. Aber, wenn man sich heute die europäische politische Landschaft anguckt, dann muss man feststellen, dass die Rettungspolitik vor allem aktuell zu einer deutlichen Verschlechterung der Stimmung unter den Völkern Europas geführt hat. In vielen südeuropäischen Ländern, besoders aber in Griechenland, wird Deutschland als Sündenbock für die Korruption, Misswirtschaft und Betrügereien der eigenen Regierungen herangezogen und Nazi-Vergleiche deutscher Regierungsmitglieder sind nicht nur in Griechenland an der Tagesordnung. Solche Entwicklungen schaffen nicht gerade Vertrauen in den Euro als Friedensprojekt.

Die unverschämte Forderung, dass Deutschland in dieser Situation die knapp 300 Milliarden Euro an griechischen Staatsschulden durch das Zahlen von Reparationen einfach übernehmen sollte, ist selbst im Lichte der deutschen historischen Verantwortung und angesichts der bereits geleisteten finanziellen Solidarität an Dreistigkeit kaum noch zu überbieten.

Auch, dass der griechische Ministerpräsident jetzt zum Betteln nach Moskau fährt, wobei Russlands Regierung doch augenblicklich in einen blutigen Bürgerkrieg in der Ost Ukraine verwickelt ist, wirft weitere ernsthafte Fragen im Bezug auf die innere Verfasstheit der europäischen Gemeinschaft auf. Wie wäre es wohl um den europäischen Zusammenhalt bestellt, wenn Tsipras sich tatsächlich zu Putins Erfüllungsgehilfen in der EU machen würde und die nächste Verlängerung von wirtschaftlichen Sanktionen gegen den Kreml tatsächlich verhindern würde, um eine Pipeline zu bekommen und wieder mehr Obst exportieren zu dürfen? Auch hat die Rettungspolitik vielen linksextremen, rechtsextremen und nationalen Kräften, wie Syriza, Podemos oder dem Front National im Europa überhaupt erst zum Aufstieg verholfen.

Am Ende müssen die politischen Eliten Europas die Frage beantworten: Wie hoch ist der wirtschaftliche aber auch politische Preis, den man bereit ist, für ein kleines wirtschaftlich weniger bedeutendes Land wie Griechenland zu zahlen, wenn dessen Regierenden noch nicht einmal die geringste Bereitschaft zeigen, die Probleme im eigenen Land wirklich zu lösen?


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