Noch vier Wochen und wir werden wissen, was vorher nur vermutet werden kann. Welche Regierung Großbritannien nach der Wahl bekommt – die Frage ist noch immer völlig offen. Im letzten Artikel habe ich folgenden Zwischenstand gezogen:
- Labour und Tories liegen bei knapp über 30% und verlieren strukturell an Zustimmung.
- Die traditionell drittstärksten Liberal Democrats werden dem neuen Parlament nur noch als Splitterpartei angehören.
- UKIP wird mehrere Dutzende Wahlkreise gewinnen.
- Die Scottish National Party gewinnt so gut wie alle Sitze in Schottland, Labour wird in Schottland „ausgelöscht“.
- Die sonstigen Parteien werden die Zahl ihrer Mandate steigern.
Seitdem wurde das Parlament formell aufgelöst, mehrere TV-Duelle in verschiedener Zusammensetzung haben stattgefunden und die Spitzenkandidaten mussten den ein oder anderen Fauxpas über sich ergehen lassen. Genannt sei nur David Cameron, der bei einem Ortstermin in der Provinz einen Hot Dog angeboten bekam, ihn tatsächlich mit Messer und Gabel verspeiste und damit einmal mehr seine Ungeschicklichkeit im Umgang mit allem unterhalb der gesellschaftlichen Oberschicht unter Beweis stellte. Erstaunlicherweise scheinen sich die Briten aber mit Camerons Abgehobenheit und seiner völligen Langweiligkeit arrangiert zu haben und sie gegen seine unbestrittene Kompetenz in Wirtschafts- und Finanzfragen abzuwägen. Lieber ein langweiliger und leicht arroganter Wirtschaftsprofi, als ein nahbarer Labour-Chef Miliband, der zwar als „Kümmerer“ gilt, aber auch als weitgehend kompetenzfrei. Eher bekommt Cameron eine zweite und möglicherweise unverdiente Chance, als dass die Briten Miliband auch nur eine erste geben wollten – diese Stimmung verbreiten zunehmend die Medien, die Cameron auch im TV-Duell knapp vorne sahen.
In den Umfragen ergeben sich damit drei interessante Entwicklungen zum Zwischenstand. Erstens bleiben die Zustimmungswerte der Labour Party mit 33-34 % gleich, ihre Wähler interessiert die mediale Stimmung offenbar wenig. Zweitens gewinnen die Tories leicht dazu und ziehen erstmals seit 3 Jahren wieder mit Labour gleich. Drittens gehen diese Gewinne zu Lasten der Grünen und UKIP – Wohlfühl- und Protestkonservative kehren sozusagen heim. Aber was bedeuten diese Entwicklungen letztlich für das Wahlergebnis? Immer fester zeichnen sich folgende Wahltendenzen ab:
- Durch die Wahlkreisgrenzen leicht bevorteilt, werden die Tories bei einem zu Labour gleichen Stimmenergebnis knapp stärkste Kraft. Eine eigene Mehrheit liegt aber in weiter Ferne.
- Labour verbessert sein Ergebnis nur unwesentlich, weil leichten Gewinnen in England massive Verluste in Schottland gegenüber stehen.
- Die Liberaldemokraten verlieren mehr als die Hälfte ihrer Wahlkreise.
- Die SNP gewinnt fast alle Wahlkreise in Schottland und wird insgesamt neue drittstärkste Kraft.
- UKIP ist die große Unbekannte dieser Wahl. In den Umfragen werden ihr zwar rund 15 % der Stimmen, aber nur eine Hand voll Wahlkreise zugetraut. Aufgrund der regionalen Konzentration der UKIP-Anhänger in den ländlichen Regionen Englands ist aber auch der Gewinn von mehreren Dutzend Wahlkreisen nicht unrealistisch.
Zu welcher Regierung diese Wahlergebnisse letztlich führen werden, ist so offen wie nie. Klar ist vor allem, wie die Regierung mangels Mehrheit im Parlament nicht aussehen wird:
- Alleinregierung irgendeiner Partei
- Koalition aus Tories/Labour und Liberal Democrats
- Koalition aus Tories/Labour und UKIP
Rechnerisch möglich scheinen dagegen folgende Mehrheiten:
- Koalition aus Tories und Labour (undenkbar in der britischen Verfassungstradition)
- Dreier-Koalition aus Tories/Labour und den Liberal Democrats und UKIP (ausgeschlossen)
- Koalition aus Tories und SNP (ausgeschlossen)
- Koalition aus Labour und SNP (denkbar, aber wahrscheinlich keine Mehrheit)
- Koalition aus Labour, SNP und Liberal Democrats (Mehrheit ziemlich sicher, Umsetzung möglich)
Wirklich realistisch erscheint damit nur eine Dreier-Koalition aus Labour, SNP und den Liberal Democrats. Ob aber die SNP tatsächlich bereit für eine Regierungsbeteiligung in Westminster ist, darf zumindest bezweifelt werden. Letztlich wäre eine Dreier-Regierung immer von akuter Selbstauflösung bedroht und zudem ein leichtes Ziel für die starke Opposition der Tories. Mein Tipp ist daher, dass es ganz anders kommen wird und es nach der Wahl erst richtig spannend wird. Warum und wie die Regierung dann aussehen könnte – das lest ihr im nächsten Artikel kurz vor der Wahl!
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