Deutschland

Es ist etwas faul im Staate Deutschland

 

Dunkle Wolken stehen am Himmel über Deutschland. Die gläserne Kuppel des Reichstagsgebäudes ist an diesem Tag kaum zu erkennen. Nebel steht um das Kanzleramt und dünne Regentropfen formen dunkle Pfützen. Nasses schwarzes Leder versucht um sie herum zu tänzeln. Nur als Silhouetten erkennbare Gestalten streifen durch den Nebel. Ein gepanzertes Regierungsfahrzeug fährt vorbei und ohne erkennbare Insassen dreht es seine immer gleiche Runde. Der Zeitungsverkäufer am Brandenburger Tor hat seine Auslage längst vor dem Regen in Sicherheit gebracht.  Von der Feuchte bereits zerlaufen, lässt sich noch das Wort „Griechenland“ erahnen.

Unsere Gegenwart erschiene, würde man sie aus einer anderen Perspektive betrachten – etwa der eines Geschichte-Leistungskurses, der auf unsere Gegenwart zurück blickt – als spannend und besonders heikel. Die Politik hat nicht nur die Frage zu klären, wie Europa vernünftig und angemessen mit Flüchtlingen umgeht, sondern parallel muss auch eine Strategie her, wie mit zunehmenden Ausländer- und Asyl-Hass in Deutschland umgegangen und wie ihm begegnet wird. Abseits davon steht die Frage im Raum, ob wie die Bundesregierung mit der weitreichenden Spionage durch ausländische Geheimdienste umgeht, wie die eigene Verwicklung darin aufgearbeitet werden kann und zuletzt, wie es zu Ermittlungen wegen Landesverrats gegen Journalisten kommen konnte und in wie weit Innen-, Justiz-, und Kanzleramtsminister und letztlich auch die Kanzlerin involviert waren. Generell erscheint der Job des Bundesinnenministers vor diesen Fragen als eher unangenehm, ist er doch in alle diese Fragen verwickelt, ebenso wie die Kanzlerin.

Im Geschichts-LK würden Fragen nach der Schuld, und den möglichen Konsequenzen gestellt. Nach Ursachen und Wirkungen geforscht.

So sähe die Theorie aus. Die Realität stellt sich komplett anders dar. Innenminister de Maizière scheint sich überhaupt nicht bewusst zu sein, dass sein Ministerium und damit er selbst, verwickelt ist in alle diese Fragen und Probleme. Die Kanzlerin entgegnet diesen unplanmäßigen Fragen mit der immer gleichen Taktik, sie merkelt. Was nichts mit dem ähnlich klingenden Wort „werkeln“ zu schaffen hat.

Das einzige Problem, das von der Bundesregierung sehr ausschweifend angegangen wird, ist Griechenland, die, so muss man es einmal sagen, für den deutschen Bürger irrelevanteste Frage. Aber genau das Gegenteil soll suggeriert werden.

Selbst die K-Frage, so scheint es in manchen Augenblicken, hat für die GroKo zwei Jahre vor der nächsten Wahl, eine höhere Wichtigkeit als die Frage, wie es eigentlich um die Demokratie in unserem Land bestellt ist.

Wie „gegenwartsblind“ die links-konservative Koalition zu sein scheint, wird von Sascha Lobo regelmäßig angemahnt

(http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/bundesregierung-ist-eine-problemregierung-lobo-kolumne-a-1047766.html).

Das Verhalten der Bundesregierung kann auch noch weitreichender interpretiert werden, wie etwa von Markus Beckedahl von netzpolitik.org:

 

„Da ist doch entweder massive Inkompetenz überall vorhanden, daran möchte ich nicht glauben, oder hier ist massiv irgendwas faul.“

(http://www.mdr.de/mdr-info/beckedahl-reagiert-auf-range100.html)

Der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch prägt in seinem 2005 erschienen Werk den Begriff „Post-democracy“ für einen Staatszustand, der die eigentliche Demokratie bereits überwunden hat und

in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden […], in dem allerdings konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, daß sie zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man nur über eine Reihe von Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben.“ (Crouch: Postdemokratie 2008, S.10).

Eben dieses Phänomen findet sich auch aktuell in Deutschland wieder, selbstverständlich nicht voll ausgeprägt wie in Crouchs Ausführungen, der seine Beschreibung als „eine Übertreibung“ (ebd.) bezeichnet. Dennoch lässt es sich nicht leugnen, dass die Große Koalition unter Angela Merkel genau diese Strategie zu verfolgen versucht.

Demokratie erscheint nur noch als Rechtfertigung für die aktuelle Regierung, sich selbst als Regierung zu bezeichnen. Von einem falschverstandenen Demokratieverständnis zeugen etwa die Entgleisungen Volker Kauders, der offenbar Artikel 38. Abs. 1 Satz 2 des GG zu vergessen hat, durch sein massives Engagement ein ungestörtes Regieren zu ermöglichen, einfach nicht mehr an alles denken konnte: „Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“. Folgt man seinem – zumindest problematischen – Bild der Legislative, muss man sich fragen, wozu es überhaupt 631 Abgeordnete in einem Parlament bedarf. Vermutlich hat er noch immer keine Antwort darauf gefunden.

Das zumindest einzelne Individuen nicht den Staat als Diener des Volkes sondern das Staatswesen als höchste Autorität begreifen, demonstriere jüngst Hans-Peter Uhl. Mit dem plumpen Mittel der Angst vor Terror und dem IS möchte er am liebsten alle Maßnahmen zur Sicherheit rechtfertigen. Er stellt einen direkten Bezug zwischen den Veröffentlichungen durch Netzpolitik.org und einem Terroranschlag in Deutschland her:

„[…]da müssen Sie in die Veröffentlichung der Netzpolitik gehen, und dann sehen Sie, dass dort seitenweise im Orginaltext dargestellt wird, wo die Schwachstellen der Bundesrepublik sind [….Das heißt, wer jetzt zum Beispiel einen Terroranschlag auf einen Weihnachtsmarkt vorhat, der IS, der weiß jetzt genau, was er verhindern muss, umgehen muss, dass er nicht vom Verfassungsschutz entdeckt wird.“ (https://netzpolitik.org/2015/hans-peter-uhl-zu-landesverrat-journalisten-und-whistleblower-arbeiten-terroristen-zu/).

Diese Konklusion ist fatal, da bewusst Angst in der Bevölkerung geschürt werden soll und sie zum andren für ein Weltbild spricht, in dem der Staatsapparat- zu welchem er sich nach fast 17 Jahren im Bundestag wohl auch selbst zählt- schon weiß, was gut ist und keiner Kontrolle durch die Öffentlichkeit bedarf.  Angemerkt sei dabei, dass er während der letzten Legislaturperiode selbst Mitglied des parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste war. Damit fällt etwa die Überwachungs- und Spionageaffäre durch den NSA unter seine „Kontrolle“.

Die Betrachtung einzelner Personen ist letztlich aber nicht aussagekräftig, sind sie doch bestenfalls Symptome und keinesfalls Ursache eines problematischen Zustandes.  

Ich will an dieser Stelle keine Konsequenz formulieren. Am Schluss aber muss ich mir eingestehen, dass der Deutsche offenbar gerne klatscht, am Straßenrandsteht und Paraden anguckt. Dabei „denen da oben“ hörig ist, obwohl er sich gerne am Stammtisch über diese beklagt. Letztlich aber wissen „die da oben“ doch bestimmt mehr als wir.

Wem aber kann man es verübeln?

Im Geschichts-LK der Zukunft wird man dennoch diese Fragen unserer Zeit diskutieren. Es wird heißen, dass 2015 ein wichtiges Jahr für Deutschland und das Demokratieverständnis der Deutschen gewesen ist. Vielleicht werden die Schüler in ihrer Abiturklausur schreiben, dass das Abblocken aller Kritik richtig war und dass sie es begrüßen, dass die Überwachungsmaßnahmen durch den Staat jetzt noch ausgeprägter sind.  


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