Vom Deutschen und seiner Literatur

Literatur ist etwas- mag man meinen- typisch deutsches. Sind es nicht gerade Zeitgenossen wie Goethe, Schiller oder Lessing, die einem Einfallen, wenn man an deutsche Kultur denkt? Sie und weitere große Gestalten, wie Thomas Mann oder  Brecht. Den Kennern deutscher Literatur, den zahlreichen Studenten der Germanistik sind darüber hinaus auch Gestalten wie Novalis, Hoffmann oder Kästner ein Begriff.  Wer Germanistik studiert, erfährt auch bald Hochachtung vor der Begründern dieses Faches, den Gebrüdern Grimm.

Steigt man tief ein in die deutsche Literaturwissenschaft, fallen bald nicht nur so vergangene Namen ein, wie Martin Opitz- als Begründer der Poetik- oder Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, der schon im 15. Jahrhundert den alberne Doppelnamen hoffähig gemacht hat, und sich dafür einen Stern in meinem persönlichen Walk of Fame gesichert hat. Gräbt man tiefer, will mehr erfahren über die hochgefeierte Literatur dieser Deutschen, erscheinen bald ganz neue Namen. Walther von der Vogelweide mag wohl noch vielen ein Begriff sein, doch wer hat bereits von dem Namenhaften Dichter- Der Stricker- gehört?

Mit diesen Dichtern, deren Existenz letztlich nie gänzlich bewiesen werden kann, befindet sich der angeregte Germanistik Student im Bereich der älteren deutschen Literatur. Wer hierhin vordringt rühmt sich damit, zumindest die ersten Verse des Nibelungenliedes auswendig zu können. Der wohl deutschesten aller deutscher Literatur.

Uns ist in alten mæren   wunders vil geseit

von helden lobebæren,   von grôzer arebeit,

von fröuden, hôchgezîten,   von weinen und von klagen,

von küener recken strîten   muget ir nu wunder hœren sagen.

Möglicherweise so deutsch, das Frauke Petry und andere Bewahrer der Deutschen Kultur, dies bei ihrer nächsten Kundgebung der Welt entgegen schmettern.

Was dieser sehr kurze Überblick über die Wissenschaft der Deutschen Literatur zeigt, kann wohl stellvertretend für den gesamten Umgang mit deutscher Literatur und Kultur gesehen werden. Hier formuliere ich meine These: Die gehobene Auseinandersetzung mit der deutschen Literatur ist auf  mindestens einem Auge blind. Geprägt durch eine ungesunde Verehrung vergangener Autoren setzt das, was als hohe Kultur und anspruchsvolle Literatur angesehen wird auf Realismus und Nachahmung. An dieser Stelle soll kein Diskurs über gute und schlechte Literatur entstehen.

Ich möchte aufmerksam machen auf die Blindheit gegenüber zahlreichen Strömungen und modernen Entwicklungen in der deutschen Literatur. Ist es nicht bezeichnend, dass ein anstrebender Germanist viel Zeit mit der Übersetzten von mittelalterlicher Literatur (von Mittelhochdeutsch auf Neuhochdeutsch) und immer wieder mit den gleichen großen Geistern der Weimarer Klassik konfrontiert wird, sicher  aber niemals der heute sehr populären Poetry-Slam Literatur gegenüber sieht?

Noch deutlicher wird die Blindheit im Bereich der Fantasy-Literatur. Während diese Literatur in Deutschland noch immer als Trivial- und Schundliteratur gilt, die bestenfalls für pubertäre Jugendliche geeignet ist, aber nicht für den eifrigen Rezitierter des Erlkönigs. Andere Literaturwissenschaften haben längst erkannt, dass es sich bei der fantastischen Literatur um ein weites und ertragreiches Feld handelt. So klaffen auch die Zahlen der wissenschaftlichen Veröffentlichungen, die sich mit dem Thema Fantasy-Literatur befassen, im deutschen und im englischen Sprachraum weit auseinander.

Symptomatisch erscheint mir dies für eine vorherrschende Einstellung einer selbsternannten Kulturnation. Vergangenes will erhalten werden und wird stilisiert zu einem nicht mehr erreichbaren Ideal. Während das Auge blind ist für Neues und diesem mit Verachtung begegnet. Geprägt wurde diese Art von selbsternannten Kulturmenschen durch den Begriff des Bildungsphilisters. Stagnation wird mit ihm die Tür geöffnet. Auslöser ist die Hoffnung, sich auf dem Ausruhen zu können, was andere bereits erreicht haben. Wer sich immer und immer wieder auf die Klassiker der Literatur beruft, kann sich sicher sein, dass niemand dagegen spricht. Denn alle sind sich einig und alles wurde bereits gesagt. Von anderen.

Hier schlage ich den Bogen zur Politik…


Beitrag veröffentlicht

an

in

von

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.