Homosexualität

Schwul, Lesbisch, Pädophil


Die Debatte über sexuelle Orientierung ist in Russland häufig von Dichotomie geprägt. Das Normale steht dem Abnormen gegenüber. Diese Polarisierung wird nicht allein vom Staat getragen, sie ist schon tief ins Bewusstsein der Gesellschaft eingesickert – mit erschreckenden Konsequenzen.

Anfang des Jahres ging eine Meldung durch die Medien, die von vielen gar nicht oder nur als Randnotiz wahrgenommen wurde: In Russland solle es Transsexuellen und Transvestiten verboten werden einen Führerschein zu besitzen. Das Gesetz gelte ebenso für Pädophile, Fetischisten, Voyeuristen sowie Glücksspielsüchtige und Kleptomanen.
Nachdem ich mir kurz den Kopf zerbrach wie in Russland wohl Fahrzeuge geführt werden müssten, um solch ein Gesetz zu rechtfertigen, fügte ich diese Nachricht in den Kontext ein, der im Zuge der Krim- und Ukrainekrise stark an medialer Präsenz verloren hat: Russlands Umgang mit „nicht traditionellen sexuellen Beziehungen“, zu denen auch Homosexualität gezählt wird – Eine Zuordnung die man mit Hinblick auf die gängigen Praktiken im antiken Griechenland durchaus als diskussionswürdig einstufen könnte.
Zum Glück erklärte die Regierung nach Protesten, das Fahrverbot werde soweit eingeschränkt, dass nunmehr nur Personen mit erheblich ausgeprägten Geistesstörungen betroffen sein werden. Dennoch erweitert auch dieses Vorhaben ein ohnehin schon verstörendes Bild um eine weitere Nuance.
Die Homophobie Russlands ist uns nicht fremd. Das letzte Mal bot die Winterolympiade 2014 in Sotschi den westlichen Medien einen Anlass dieses Thema auf die Titelseiten zu bringen und die Sicherheit der homosexuellen Olympioniken in Frage zu stellen. Damals garantierte Putin, dass kein Besucher der Olympiade etwas zu befürchten hätte, da lediglich die Bewerbung von Homosexualität gegenüber Kindern verboten sei. Niemand würde in Russland wegen seiner sexuellen Orientierung ausgegrenzt werden.
Richtig! – So wie die Regierung in Russland durch eine funktionierende Demokratie gewählt wird und der Kreml nichts mit der Separatistenbewegung in der Ukraine zu schaffen hat, genau so werden Homosexuelle in der Föderation nicht unterdrückt.

Die Gesetze
In Russland gibt es neben den föderalen Gesetzen in jeder Region eigene kommunale Verordnungen, daher ist es nicht möglich in Kürze ein vollständiges Abbild aller Rechtsvorschriften zu vermitteln. Nur soviel: Homosexualität ist in Russland seit 1993 nicht mehr strafbar. Auch der hier zu Lande als „Anti-Homosexuellen-Gesetz“ bekannt gewordene Text, stellt lediglich die Verbreitung von Homosexuellen-Propaganda gegenüber Minderjährigen unter Strafe. Da Kinder aber bekanntlich immer und überall auftauchen können, sollte man, um straffrei davon zu kommen am besten gleich lieber schweigen.
Und Heiraten? Nein, das geht natürlich auch nicht. Kinder adoptiert man daher besser als Einzelperson statt als gleichgeschlechtliches Pärchen.
Es scheint also so, dass der reine Gesetzestext, der 2013 auch in Deutschland heiß diskutiert wurde, Homosexuelle weitgehend der Möglichkeit beraubt für Toleranz und Gleichbehandlung zu werben, er fällt jedoch nicht so restriktiv aus, wie es manche westlichen Medienberichte vermuten ließen. Hier hätte der jüngst geplante Eingriff in die Mobilität der eingangs erwähnten Minderheiten für deren Alltagsleben nicht minder schwer gewogen.
Das tatsächliche Problem ist also weniger der Inhalt, sondern vielmehr das Signal, das durch die Verabschiedung dieser Verordnung entsandt wurde, sowie die Konnotationen die Gesetzte wie das gegen „Propaganda von Homosexualität und Pädophilie“ tragen.
Das Ziel von Propaganda besteht in Manipulation und der Änderung oder Festigung von Einstellungen. Wenn Homosexuelle also Kinder durch ihre Propaganda beeinflussen können, scheint der Auffassung der russischen Regierung nach, Homosexualität auf äußere Einflüsse oder sogar eine bewusste Wahl zurückführbar zu sein.
Auch wird Homosexualität implizit mit Pädophilie und anderen ein- oder beidseitig schädlichen Orientierungen gleichgesetzt, eine Auffassung die in Russland häufig propagiert wird.

Medien, Kirche, Staat
Homosexualität wird in den russischen Unterhaltungsmedien entweder vollends ausgeklammert oder mittels überzeichneter Stereotypen karikiert. Eine lebensnahe oder kritische Auseinandersetzung mit dem Thema erfolgt kaum.
Für die Russisch-Orthodoxe Kirche stellt es eine Sünde dar. Laut Kirchensprechern ist Homosexualität auf unmoralische westliche Einflüsse zurückzuführen und grundsätzlich abzulehnen.
Auch Vertreter der offiziellen Seite finden klar Worte. Der St. Petersburger Stadtparlamentsabgeordnete Witali Milonow beispielsweise setzt Homosexualität mit einer Grippeepidemie gleich, bezeichnet Schwule als nutzlos und versuchte unlängst Einrichtungen mit hauptsächlich homosexuellen Besuchern schließen zu lassen.
Die meinungsbildenden Kräfte geben dem russischen Volk einen eindeutigen Bewertungsrahmen vor und wie sich zeigt, wird dieser in weiten Teilen übernommen, wenn er nicht ohnehin schon intrafamiliär tradiert wurde.

Die öffentliche Meinung
Betrachtet man eine Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungs-Instituts Lewada-Zentrum von 2013, so könnte man die oben erwähnte russische Gesetzgebung schon fast wieder als liberal bezeichnen. Das Institut bescheinigt der russischen Bevölkerung eine ausgeprägte Homophobie, die in den acht Jahren vor dieser Studie noch stark angestiegen sei. Die Ergebnisse sind auch im Einzelnen sehr lesenswert, so glaubten nur 16% der 1600 Befragten, dass Homosexualität angeboren sei. 68% hatten insgesamt eher negative Gefühle gegenüber Homosexuellen und 60% wollten am liebsten das Recht auf gleichgeschlechtliche Beziehungen abschaffen. Weiter ergab die Untersuchung, dass jeweils weit über 50% der Befragten weder homosexuelle Personen als Nachbarn oder Kollegen und schon gar nicht in der Familie haben wollten. Interessanterweise gaben wiederum jedoch fast 90% an, überhaupt keine Homosexuellen zu kennen.

Die Folgen
Den Schwulen und Lesben in der Russischen Föderation bleibt daher meist nicht anderes übrig, als ihre sexuelle Orientierung geheim zu halten, denn es steht einiges auf dem Spiel. Neben dem Job und der gesellschaftlichen Integration ist auch ihre körperliche Unversehrtheit gefährdet. Besonders grausame Gewalttaten gegen Homosexuelle schaffen es sogar bis in die deutschen Medien. Hier liest man dann von Vergewaltigungen mit Flaschen oder Schlagstöcken oder auch von Totschlag.
Weitere Folgen dieser Homophobie, die zwar keinen so hohen Nachrichtenwert besitzen, dafür aber klarstellen, dass solche Gewalttaten keine Einzelfälle sind, finden sich auch in den Weiten des Web 2.0. Hierzu muss man nicht mal in die dunkelsten Gefilde des Netz vordringen. Auf vielen Videoplattformen finden sich Clips, in denen Homosexuelle von Gruppen meist junger Männer erniedrigt werden. Diese Gruppen geben sich als Wächter der Moral und erklären meist ausschließlich gegen Pädophile vorzugehen. Die Opfer sind dann aber doch junge, schwule Männer, die über soziale Netzwerke zu einem fingierten ‚Date’ gelockt wurden. Dort werden sie geschlagen, mit Urin übergossen, müssen ihren Namen sagen und gestehen homosexuell zu sein. Neben der physischen Gewalt wird das Opfer durch die Veröffentlichung des Videos bloßgestellt und sozial geächtet.
Solche Taten werden zwar von den russischen Behörden verfolgt, jedoch scheinen sich die Ermittlungen in diesen Fällen überaus kompliziert zu gestalten und bei Gerichtsverfahren kommt es oft zu Verfahrensfehlern oder anhaltenden Serien von Vertagungen, so dass man beinahe an der rechten Motivation der Staatsgewalten zweifeln möchte.

Die eigene Nase
Die Situation der Homosexuellen in Russland gestaltet sich zunehmend schwierig. Mit einer Gesetzgebung die sie praktisch mundtot hält und einer Gesellschaft, die zumindest augenscheinlich eine sehr ablehnende Haltung an den Tag legt, scheint es als würden jene, die sogenannte ‚nicht traditionelle’ sexuelle Beziehungen pflegen, auch in Zukunft mit Repressalien und zunehmender Einschränkung ihrer Rechte rechnen müssen.
Doch soll auch nicht unerwähnt bleiben, dass unter den erniedrigenden Internetvideos einige aus dem mitteleuropäischen Raum stammen und auch in Deutschland Berichte über Gewalt gegen Homosexuelle keine Seltenheit darstellen. Ehe man solche Vorkommnisse als Einzelfälle abtut, sich selbstverliebt zurücklehnt und sich seiner überlegenen westlichen Moral rühmt, – sind wir nicht alle Stolz auf unsere schwulen Sportler? – sollte die Frage erlaubt sein, wie sehr diese bipolare Vorstellung den Tatsachen entspricht.
Ich gehe davon aus, dass sowohl die massenmediale Berichterstattung, als auch die Äußerungen von Einzelpersonen, sei es in Deutschland oder in Russland, stark durch die jeweils angenommene soziale Erwünschtheit von Aussagen beeinflusst wird. Das soll heißen, dass die jeweiligen Äußerungen der unterstellten öffentlichen Meinung anpasst werden und das unabhängig von der tatsächlich vorherrschenden Einstellung. In diesem Zusammenhang kann es sogar zu einer ‚schweigenden Mehrheit’ kommen, die ihre eigentliche Meinung zurückhält, sollte diese der angenommenen öffentlichen Meinung widersprechen.
Vor diesem Hintergrund reicht es nicht mit erhobenem Zeigefinger nach Osten zu zeigen und den homophoben Russen zu verteufeln. Ebenso sollten wir selbst auch ein waches Auge auf die Lage im eigenen Land werfen. Es ist ja nicht so, als wären die Deutschen nicht auch schon mal ‚intolerant’ gewesen.


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