Im vergangenen Monat haben in Argentinien die von vielen lange erwarteten Vorwahlen zur Präsidentschafts- und Parlamentswahl stattgefunden. Diese waren besonders wichtig, weil es keine verlässlichen Wahlumfragen gab und sie einen Eindruck darüber vermittelt haben, wie es um die politische Stimmung in Argentinien derzeit steht. Durch die Ergebnisse der Vorwahlen sind nun alle etwas schlauer, jedoch ist immerhin unklar, wer der neue Präsident Argentiniens werden wird. Etwa 75 % der wahlberechtigen Argentinier haben gewählt. Dies liegt aber mitnichten am überdurchschnittlichen politischen Interesse der Argentinier (tatsächlich ist das Vertrauen der Argentinier in ihre gewählten Vertreter Umfragen zufolge katastrophal), sondern daran, dass die Wahl für alle Personen zwischen 18 und 80 Jahren obligatorisch ist.
Daniel Scioli, der Kandidat der Regierungspartei Frente para la Victoria, wurden von 38 % der Argentinier gewählt. Die Wahlallianz Cambiemos mit dem Spitzenkandidat Mauricio Macri wurde von insgesamt 30 % gewählt. Auf die Allianz Unidos por una nueva alternativa mit Spitzenkandidat Sergio Massa entfielen 20 % der Stimmen. Andere Parteien standen ebenfalls zur Wahl, lagen jedoch alle unter vier Prozent.
Wie kann es nun sein, dass man sich trotz eines Vorsprunges von acht Prozent nicht sicher sein kann, ob Daniel Scioli der nächste Präsident Argentiniens wird? Die argentinischen Präsidentschaftswahlen verlaufen etwas anders, als dies in anderen Ländern der Fall ist. Am 25. Oktober gewinnt derjenige Kandidat, der es entweder schafft, 45 % der Stimmen zu bekommen, oder derjenige, der 40 % der Stimmen erhält, während auf die Partei mit den zweitmeisten Stimmen zehn Prozent weniger entfallen müssen. Sollte es im Oktober also theoretisch zum gleichen Ergebnis kommen wie bei den Vorwahlen, müsste im November eine Stichwahl zwischen Scioli und Macri stattfinden. Folglich fehlen der Regierungsallianz Frente para la victoria bei gleich bleibender Stimmenanzahl Macris nur zwei Prozent, um eine Stichwahl zu vermeiden.
Interessant ist nun, wie sich die Anhänger der Allianz UNA unter Sergio Massa verhalten. Massa hatte sich in der Vergangenheit immer wieder als Oppositionspolitiker dargestellt, der in Argentinien einen moderaten Wechsel anstrebt. Sollten einige der Wähler, die ihn bei den Vorwahlen gewählt haben, tatsächlich einen Wandel wollen, müssen sie bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober zwingend Macri wählen, um die Regierungsallianz in eine Stichwahl zu zwingen, in der sich die Opposition vereinen könnte. Die anderen Anführer der Oppositionsparteien haben genau dies bereits erkannt und in einer gemeinsamen Pressekonferenz erklärt, dass sie als Opposition zusammenstehen und nun für Macri werben.
Genau davor hat die Regierung natürlich große Angst. Propagandagleich wird in Argentinien jede Häuserwand, jede Kreuzung und jede Brücke mit Wahlwerbung beklebt, bestrichen und beschrieben, angeblich soll die Regierung jeden Tag 500.000 US-Dollar für „Öffentlichkeitswerbung“ ausgeben. Durch Schmutzkampagnen wird den Wählern davor Angst gemacht, dass ein tatsächlicher politischer Wechsel auch für sie schlecht wäre, weil er politische Reformen auslösen würde, die jedem wehtun würden. Es wäre Argentinien zu wünschen, dass seine Bewohner sich davon nicht beeinflussen lassen, ihren Mut zusammennehmen und Argentinien eine echte, neue Chance geben.
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