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Volkskrankheit „Selfie“ – Über die (Un)Wichtigkeit moderner Selbstportraits

Vor wenigen Wochen zogen in einem niederländischen Pfannkuchenhaus vier junge Frauen meine Aufmerksamkeit auf sich, als sie sich etwas energischer stritten, noch bevor der Kellner mit dem Essen kommen konnte. Als ihr Tisch schließlich mit vier Pfannkuchen bedeckt war, zückte Jede ihr Smartphone, machte erst einmal ein Foto von ihrem jeweiligen Hauptgang, um dann anschließend reihum ein Selfie in anscheinend bester Laune, mit ihren anscheinend besten Freundinnen und ihren tatsächlich gut aussehenden Pfannkuchen zu machen. Bis alle letztendlich ihr perfektes Selfie geschossen, bearbeitet und ins hiesige Social-Media-Netzwerk geschickt haben, vergingen knappe zehn Minuten. Die Pfannkuchen wurden kalt, die auf dem Foto so gestellten Fröhlichkeitsmienen verfinsterten sich wieder und die Damen widmeten sich wieder ihrem Streitgespräch vor dem Fotoshooting. Tja, so kann man sich die Zeit zwischen Bestellung und Lieferung auch vertreiben. Dieses Selfie-Phänomen ist jedoch nicht regional bedingt, wir Deutsche sind mindestens genauso manisch und abhängig in dieser Hinsicht und selbst der Verfasser dieser Zeilen muss gestehen, dass er sich an guten Abenden bereits zu dem einen oder anderen Selfie hinreißen ließ.

Man kennt die Szenerie: Samstagabend, Partyzeit mit den Liebsten und hier und dort wird in das Kamerahandy gegrinst, damit das anschließende Foto bei Facebook, Instagram und Twitter landen kann, um der Außenwelt zu zeigen, welchen unfassbaren Spaß man in diesem Moment hat. Doch wie bei unseren niederländischen Musterbeispielen muss dies nicht automatisch der Realität entsprechen. Fotos, die manchmal vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen sind, zieren nicht nur die Social-Media-Bereiche oder das World Wide Web im Allgemeinen, sondern bestimmen unseren Alltag in all ihrer Gänze. Plakate mit „Machen Sie ein Selfie und nehmen Sie an unserem Gewinnspiel teil“-Aufschriften und der Werbeype um sog. „Selfie-Sticks“ begegnen uns genauso in Hülle und Fülle wie meist junge Menschen auf der Straße, die ihr Hände mit dem Display in den Himmel halten, ihr Honigkuchengrinsen aufsetzen und kurze Zeit darauf die „Likes“ auf Facebook zählen. Dabei erfahren nicht nur Fotos vor dem alten Badezimmerspiegel oder sog. „Duck-Face-Fotos“ ein Revival, nein, heutzutage ist dank Internet Jeder ein Popstar, dessen Fans am laufenden Band angeblich erfahren möchten, was sein Idol heute gegessen, wo er gesessen und mit wem er sich die Zeit vertrieben hat. Erntet der Verfasser dafür Anerkennung in Form von „Likes“ oder „geteilten Beiträgen“, steigt das Selbstvertrauen in die Höhe. Bleiben diese jedoch aus, bleibt auch meist die gute Laune aus.

Und dabei gibt es im 21. Jahrhundert dank entsprechend entwickelter Kamerahandys nichts Leichteres, als in fast jeder Lebenssituation die Facebook- und Twitterwelt up to date zu halten. „Seht her, ich habe eine neue Hose!“, „Schaut, gerade sitze ich mit meinem Liebling auf einer Parkbank!“, „Darf ich präsentieren? Mein heutiges Frühstück!“, den Anlässen, sich selbst in Szene zu setzen, sind keine Grenzen gesetzt. Ein kleiner Narzist steckt somit in Jedem von uns.

Ob man neidvolle Blicke seiner „Follower“ kassiert oder es sich bei den „Selfies“ um gestellte oder der Wirklichkeit entnommene Selbstportraits handelt, spielt dabei keine Rolle. Einzig und allein die „Likes“ und die „Schaut, wie gut es mir geht, ich führe ein geiles Leben“-Botschaften scheinen zu zählen. Die Heile-Welt-Fassade hält das Heft fest in der Hand, doch was hinter den Fotos, den Sonnenschein-Grinse-Bildern anscheinend unbekümmerter und lebensfroher Mittzwanziger steckt, weiß das Internet nicht. Oberflächlich könnte es uns also nicht besser gehen, das kann jeder sehen und mitverfolgen. Doch durch Selfies in all ihren Ausführungen, ob nun mit einem Sonnenuntergang am Meer oder Städtewahrzeichen im Hintergrund oder vor dem heimischen Badezimmerspiegel, blickt man eben nur auf die Oberfläche des Menschen.

Facio imago a me ergo sum – Ich mache ein Bild von mir, also bin ich!


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