Europäisches Appeasement: Wenn die Demokratie mal wieder irgendwo siegt

Mehr als eine halbe Woche ist seit dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei vergangen. Teile des türkischen Militärs versuchten, die amtierende Regierung unter Ministerpräsident Binali Yildirim, sowie dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan abzusetzen. Aktuellen Zahlen zufolge sind dabei 264 Menschen um Leben gekommen, weit mehr als 1000 Menschen wurden verletzt.

 

Als Reaktion auf den Putschversuch ließ die türkische Regierung nach Angaben des Ministerpräsidenten über 7.500 Menschen verhaften. Weiterhin wurden bis zu 50.000 Bedienstete des Staates, darunter 15.000 Lehrer, fast 3.000 Richter und unzählige Verwaltungsangestellte vom Dienst suspendiert. Kurz nach dem Putsch wurden aus der Anhängerschaft Erdogans ebenso wie aus Regierungskreisen Rufe nach der Wiedereinführung der 2004 abgeschafften Todesstrafe laut. Präsident Erdogan erklärte sich darüber hinaus dazu bereit, diesen Forderungen statt zu geben, falls sich dazu eine Mehrheit im Parlament finde.

 

Erdogan jubilierte im Nachgang des Putschversuchs, dass der Putsch im Grunde genommen ein Glücksfall gewesen sei, dass Militär und Staatsdienst nun endlich “gesäubert” werden könnten. Die Rhetorik des türkischen Präsidenten erinnert dabei nicht wirklich an die des Staatsoberhauptes eines demokratischen Staates. Vielmehr ist diese nicht erst seit dem Putschversuch durchsetzt von dem Motiv der “Reinheit”. So beschimpfte er türkischstämmige Politiker des Deutschen Bundestages im Zuge der Debatte um die Anerkennung der Massaker der Jungtürken an den Armeniern mit der Behauptung in ihren Adern fließe “verdorbenes Blut”. Erfahrungswerte aus der Vergangenheit zeigen, dass Politiker, die diese Form der Rhetorik benutzen, keinesfalls demokratisch gesinnt sind. So gibt es neben Adolf Hitler weitere Beispiele wie Stalin, Mao oder aber auch Pol Pot. Sie alle vereint die “Säuberung” der von ihnen beherrschten Staaten oder Organisationen von “Volksschädlingen”, “Vaterlandsverrätern” und Oppositionellen.

Erdogan arbeitet mit Blick auf die Lage der Kurden im Süden der Türkei auch schon an seinem ganz eigenen Genozid. Es bleibt zu befürchten, dass sich ihre Lage nach dem Putsch nicht gerade zum Besseren wenden wird.

 

Anstatt diese Anwandlungen, die keineswegs erst seit letztem Freitag bestehen, scharf zu verurteilen und echte Konsequenzen aus dem Verhalten der türkischen Regierung zu ziehen, betreiben die Lenker der westlichen Welt Appeasement. Aber was bleibt speziell der Europäischen Union auch anderes übrig, als Erdogan unbehelligt schalten und walten zu lassen? Schließlich hat man sich, besonderer Dank gilt an dieser Stelle wohl der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, mit dem Flüchtlingsabkommen von einem Mann abhängig gemacht, der die Menschenwürde und demokratische Grundwerte nicht nur missachtet sondern sogar verachtet. Das alles war als humanistisch eingestellter, die Demokratie schätzender Mensch schon schwer zu ertragen.

 

Die Krone setzten die Staats- und Regierungschefs, die Außenminister der westlichen Welt und etliche Kommentatoren in den sozialen Medien ihrer Scheinheiligkeit auf, als sie auf den gescheiterten Putsch kollektiv mit der selben Aussage reagierten, die eine Ohrfeige für jeden darstellt, der sich in der Türkei gegen die autokratischen Anwandlungen des Präsidenten und seiner AKP im Namen der Demokratie und der Menschenrechte aufgelehnt hat. Der gescheiterte Putsch ist laut Barack Obama, Angela Merkel, Martin Schulz und vielen weiteren “ein Sieg der Demokratie”. Diese Aussage muss man sich vor dem Hintergrund der Fakten auf der Zunge zergehen lassen. Natürlich ist ein Militärputsch keine schöne und vor allem auf keinen Fall eine demokratische Angelegenheit. Das hat auch nie jemand ernsthaft behauptet. Aber angesichts des Verhaltens Erdogans und seiner Gefolgschaft von einem “Sieg” zu sprechen und das auch noch mit dem höchsten Gut der westlichen Welt, der Demokratie, in Verbindung zu bringen, ist eine bodenlose Frechheit, ein Verkennen der Situation der Menschen in der Türkei und am Ende nur eine weitere Inkonsequenz der westlichen Welt gegenüber Erdogan.  

 

Heute vor 72 Jahren begann der Putschversuch einiger mutiger Männer um Graf Claus Schenk von Stauffenberg gegen den deutschen Diktator Adolf Hitler. Der “Führer” und seine Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei hatten in ähnlicher Manier wie Erdogan sich gerade angeschickt, das komplette politische System nach dem Brand im Reichstag gleichzuschalten. Auch bei Hitler wurde über lange Zeit eine Politik des Appeasements betrieben. Dieser rüstete derweil die deutsche Armee systematisch auf um danach dafür zu sorgen, dass Europa von einem Weltkrieg epischen Ausmaßes zerstört wurde und eine ganze Religionsgemeinschaft beinahe vollständig vom europäischen Kontinent ausradiert wurde.

 

Die Putschisten um von Stauffenberg wurden nach dem Scheitern ihrer Operation hingerichtet. Angesichts der bevorstehenden Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei, die wahrscheinlich rückwirkend gelten soll, ist davon auszugehen, dass den türkischen Putschisten das gleiche Schicksal blüht.


Es ist klar, dass Erdogan, gemessen an dem Schaden den Adolf Hitler angerichtet hat, nicht mit diesem zu vergleichen ist. Darum geht es aber auch nicht. Es geht um den Vergleich zwischen dem Putsch gegen Hitler und dem Putsch gegen Erdogan. Der Putsch gegen Hitler war ebenfalls ein Putsch aus Kreisen des Militärs gegen eine ursprünglich von den Bürgern gewählte Regierung. War das Scheitern dieses Putsches etwa auch ein “Sieg der Demokratie”?

 

Besonders in diesen Tagen und ganz besonders in Europa und speziell in Deutschland wird den mutigen Putschisten gedacht, die versuchten, das Regime der Nazis zu beenden. Die weiter oben genannten Politiker sollten sich dabei nach ihren kürzlichen Aussagen lieber zurückhalten. Geschichtsvergessenheit kann so schmerzhaft sein.

 


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