Ein Erfahrungsbericht von Max Thur und Johannes Volkmann:
Friedrichshafen liegt idyllisch. Mit See- und Alpenblick, weltbekannten Industrieunternehmen, einer neuen Universität und einer sehr niedrigen Arbeitslosenquote gehört die knapp 60.000 Einwohner zählende Stadt zu den Gewinnerregionen in Deutschland. Bei der letzten Bundestagswahl holte die AfD 4,9%, was ungefähr dem Bundesschnitt entspricht. Friedrichshafen ist bürgerliches Stammland, die CDU holte hier 2013 über 46% und auch die FDP lag im Stadtgebiet über der Sperrklausel. Ein Ort, von dem man meint, dass Populismus hier keine Chance haben dürfte. Doch an diesem Abend (16. Januar 2016) ist der Saal im Graf-Zeppelin-Haus völlig überfüllt. Die AfD hat zu einer Wahlkampfveranstaltung unter dem Titel “Die Flüchtlingskrise – Fakten, Ursachen, Auswege” geladen. Ein Thema das offensichtlich die Gemüter erhitzt.
Zunächst eröffnet Dr. Alice Weidel, Mitglied im AfD-Bundesvorstand und die lokale Spitzenkandidatin für die Landtagswahl in Baden-Württemberg am 13. März 2016, die Veranstaltung. Sie betont dabei zu allererst, man solle sich eine eigene Meinung bilden und nicht den Diffamierungen der “Altparteien” und Medien Glauben schenken. Die AfD sei eine Partei für Freiheit und Rechtsstaatlichkeit.
Auf den Sitzen liegen blaue Flyer mit der Überschrift “Asylchaos stoppen”. Darin heißt es unter anderem: “Deutschland werden die Hände durch die Abschaffung nationaler Grenzkontrollen und die EU-Konventionen gebunden, die niemals dazu gedacht waren, eine Masseneinwanderung zu regeln. Der Bundesregierung, sämtlichen im deutschen Bundestag vertretenen Parteien und einem großen Teil der Medien fehlt der Mut zur Wahrheit.” Ganz bewusst würde das Asyl für politisch Verfolgte, die Not von Flüchtlingen aus Kriegsgebieten und die freiwillige Wanderung aus rein wirtschaftlichen Motiven vermengt.
Der Gastredner des Abends, Dr. Marc Jongen, Dozent für Philosophie an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe und stellvertretender Landesvorsitzender der AfD Baden-Württemberg, führt in die Philosophie der Partei ein. Merkels Flüchtlingspolitik habe zur Aufgabe der nationalen Souveränität Deutschlands geführt. Diese Behauptung stützt er mit einem Zitat von Carl Schmitt, besser bekannt als der “Kronjurist des Dritten Reiches”: “Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.” Auf Nachfrage, ob Jongen kein Problem mit der Staatsphilosophie Schmitts hätte und dessen Rechtfertigung des faschistischen Totalitarismus, antwortet er, dass man diesen nicht alleine an seiner Einstellung zum NS-Regime messen dürfe. Man müsse ihn viel mehr als herausragenden Intellektuellen betrachten, der sich unglücklicherweise habe kompromittieren lassen. Über Jongens Denkschule sollte man wissen, dass er bereits in einem Interview mit der FAZ einräumte (http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/marc-jongen-ist-afd-politiker-und-philosoph-14005731.html), dass seine philosophische Auffassung vom NSDAP-Mitglied Martin Heidegger geprägt worden wäre. Dieser hatte sich in seinen Schriften u.a. über eine “Verjudung des deutschen Geisteswesens” echauffiert und war ein Verfechter des sog. „Rassenprinzips“. (http://www.zeit.de/2014/01/heidegger-antisemitismus-nachlass-schwarze-hefte)
Grundsätzlich ist die Rhetorik der AfD-Vertreter an diesem Abend jedoch bewusst bürgerlich gehalten und deutlich gemäßigter als auf Björn Höckes Demonstrationen in Erfurt.
Dennoch gibt es bei den Äußerungen von Marc Jongen auch einige unappetitliche Momente. So beschwört er eine “Bedrohung des Staatsvolkes durch Masseneinwanderung” und erweckt dabei den Eindruck er verstünde Staatsvolk in einem biologistischen Sinne. Wodurch eine “Masseneinwanderung” das “Staatsvolk” bedrohe läßt Jongen dabei nämlich scheinbar bewusst offen. Geht es ihm dabei etwa um eine vermeintliche Vermischung von Ethnien? Auch warnt er vor schwelendem “Volkszorn”, eine dem NS-Wortschatz entliehene Wortschöpfung.
Frei nach dem Thema des Abends, geht Jongen dann dazu über “Auswege” aus dem “Asylchaos” aufzuzeigen. So solle Deutschland augenblicklich seine Grenzen zu EU-Nachbarn schließen und einen Zaun an der Grenze zu Österreich errichten. Warum dadurch ein Flüchtling, der sich bereits mehrere tausend Kilometer durch den Balkan und den ungarischen Grenzzaun hindurchgekämpft hat, kurz vor Passau zur Umkehr bewegt werden solle, läßt er allerdings offen. Auf die Nachfrage, wie dies mit europäischem Recht, namentlich dem Schengener Abkommen, zu vereinbaren sei, erwidert er lapidar, dass besondere Zeiten auch besondere Maßnahmen erforderten und Recht nun mal veränderbar sein. Auch diese Äußerung erinnert unangenehm an die Rechtsauffassung eines Carl Schmitt. Schließlich ist es demokratischer Konsens, dass das zentrale Merkmal eines Menschenrechtes wie des Asylrechts ist, dass es als Naturrecht eben nicht von Umständen abhängt.
Gleichzeitig zur Sicherung nationaler Grenzen, fordert Jongen die “Befestigung” der europäischen Außengrenzen, “wie bei einer Burg”. Davon, dass im vergangenen September jedoch insbesondere die ECR-Fraktion des Europäischen Parlaments, welcher die AfD angehört, gegen einen zusätzlichen Ausbau von Frontex gestimmt hatte, weiß der stellvertretender Landesvorsitzende auf Nachfrage anscheinend nichts. Stattdessen lobt er die ungarische und die polnische Regierung für ihre “vernünftige Haltung”. Es dürfe nicht ein “abstraktes Humanitätsprinzip” die Maxime für staatliches Handeln darstellen. Man möchte fast nicht wissen, welches Leitprinzip die AfD sich ersatzweise vorstellt. Die darauf aufbauende Aussage Alice Weidels, die AfD sei “die einzige liberale Partei in Deutschland” erscheint dabei umso bemerkenswerter. Allerdings muss man dazu wissen, dass Jongen in seinem FAZ-Interview erklärte, das Liberalismus bedeute, manchmal reaktionär zu sein.
Natürlich thematisiert Jongen auch die Vorkommnisse der Kölner Silvesternacht für seine politische Agenda. Ihm sei nicht bekannt, dass im europäischen Kulturkreis ein derartiges Frauenbild an den Tag gelegt werden würde, wie es von Migranten in Köln getan wurde. Herr Dr. Jongen scheint in diesem Fall seine eigene Partei schlecht zu kennen. So schrieb vergangenes Jahr der damalige stellvertretende Landesvorsitzende der Jungen Alternative NRW, Maximilian Kneller, auf Facebook anlässlich einer Demonstration am Rande eines Auftritts Frauke Petrys in Bochum über ein Mitglied der Jungen Liberalen: “Naja, der Blonden würde ich auf jeden Fall den übelsten Hatefuck verpassen. Sowas erlebt die bei ihren bebrillten, linksliberalen Hipsterfreunden in hundert Jahren nicht” (http://www.ruhrbarone.de/stellvertretender-vorsitzender-der-afd-jugend-nrw-maximilian-kneller-traeumt-von-hatefuck-mit-jungliberaler/113410).
Wer den Begriff „Hatefuck“ hier zum ersten Mal lesen sollte: Es handelt sich dabei um eine Art Vergewaltigung-“light”, mit folgenden, von den Ruhrbaronen zusammengestellten Merkmalen: “Erniedrigung des meist weiblichen Sexualpartners durch einen männlichen Akteur gekennzeichnet. Dabei wird bewusst nicht die Einvernehmlichkeit betont, sondern sogar absichtlich in Frage gestellt. Frauen werden dabei als willenlose Objekte dargestellt und herablassend behandelt.” Soviel also zum existierenden Frauenbild in der AfD-Mitgliederschaft.
Zu einem breiten gesellschaftlichen Konsens der Flüchtlingskrisen gehört bekanntermaßen auch die Forderung nach der “Bekämpfung von Fluchtursachen”. Nicht so bei der AfD. Deutschland trüge keine Verantwortung für die Sicherheitslage im Nahen Osten und solle sich deshalb auch “nicht einmischen”. Besonders gut kommen im Publikum latent antiamerikanische Parolen an. Wenn überhaupt jemand zur Bekämpfung der Fluchtursachen im Nahen Osten heranzuziehen sei, so seien dies “verdammt nochmal die Amerikaner”.
Einmal in Stimmung kommt dann auch die zu erwartende Medienschelte. So spricht Dr. Jongen von einem Meinungskartell zwischen Leitmedien und Staatsorganen. Er zeigte ein Spiegel-Cover mit dem Abbild eines brennenden Asylbewerberheims und der Frakturschrift “Dunkles Deutschland” und kommentiert, dass einige Tage vor dem Erscheinen der Ausgabe Bundespräsident Gauck von einem „Dunkeldeutschland“ gesprochen hätte. Hier erinnert er daran, dass einige AfD-Parteimitglieder in der DDR aufgewachsen seien und die “staatliche Propaganda” in der BRD mittlerweile als genauso schlimm wie damals – oder gar schlimmer (sic!) – empfänden. In diesen Momenten schimmert dann doch durch, dass Jongen und Björn “Lügenpresse!” Höcke nicht zufällig Mitglied derselben Partei sind.
Apropos Höcke. Auf die Nachfrage eines Zuschauers, wie man mit den offen rechtsextremen und völkischen Positionen Höckes innerparteilich umgehen wolle, betont Alice Weidel unverzüglich ihre Distanzierung von Höckes Aussagen. Marc Jongen hingegen distanziert sich nicht klar, sondern Höckes Aussagen werden mit der Rechtfertigung, er habe sich lediglich unglücklich ausgedrückt, banalisiert. Er stellt viel mehr die Frage, wie Rechtsextremismus und Rassismus zu definieren seien und verteidigt die AfD: “Früher war man ein Rassist, wenn man sein Volk über andere gestellt hat. Ich hasse aber andere Völker nicht, sondern liebe meins. Heute ist man schon Rassist, wenn man sein Volk auf der gleichen Stufe mit anderen sieht.” Interessant ist hierbei jedoch, dass dies sinnhaft ein Zitat eines bekennenden Rassisten ist. Die ursprüngliche Aussage stammt nämlich von Paul Weston, dem Vorsitzenden von Liberty GB, einer weit rechts von UKIP stehenden Gruppierung, wie in diesem Youtube-Video zu sehen.
Bereits zuvor, in einem Interview mit der FAZ, distanzierte er sich ausdrücklich nicht von Höcke und betonte stattdessen die Gemeinsamkeiten, die ihn mit dem “patriotischen” Thüringer AfD-Chef verbinden. In Bezug auf die rassistische Rede Höckes im “Institut für Staatspolitik” sagt Jongen, er würde den von Höcke dargestellten Sachverhalt sozioökonomisch erklären und nicht mit einer „biologistischen Theorie“. So oft wie von AfD-Vertretern an diesem Abend versucht wird, dass Rassismus-Problem der Partei zu relativieren, klein zu reden oder zu leugnen, würde Frauke Petry sicher eine treffende „Pinocchio-Metapher“ einfallen (http://www.tagesspiegel.de/berlin/bilanz-zum-bundespresseball-keine-luege-frauke-petry-feiert-mit-pinocchio-presse/12652400.html).
Aber auch über die Atmosphäre im Saal sollten einige Worte verloren werden. Neben dem mehrheitlich bürgerlichen Publikum befinden sich auch eine Reihe von Kritikern der AfD im Raum. Als diese ein Spruchband mit der Aufschrift „Refugees Welcome“ herausholen stürmt ein Mann mittleren Alters aus dem Publikum, um zuerst das Spruchband zu zerstören und anschließend ein Mitglied der Protestgruppe tätlich anzugreifen. Dies führt von AfD-Mitgliedern ausgehend, zu einem tumultartigen Handgemenge, woraufhin die Veranstaltung für circa eine Viertelstunde unterbrochen werden muss. Die AfD macht von ihrem Hausrecht Gebrauch und verweißt mit Hilfe der Polizei einen Teil der Protestgruppe des Saales. Als die Protestierenden den Saal verlassen wollen, werden sie von Teilen des Publikums nicht durchgelassen. Aggressiv gewordene AfD-Mitglieder dürfen der Veranstaltung jedoch weiter beiwohnen. Während und nach dem Tumult herrscht im Saal eine enorm aufgeheizte Stimmung, die an Erlebnisberichte von Donald Trumps Rallys erinnern (http://www.theatlantic.com/politics/archive/2015/11/the-ecstasy-of-donald-trump/417870/). Manche Teilnehmer beschrieben die der Protestgruppe entgegenschlagende Stimmung sogar “wie bei einem Lynchmob”.
Nachdem die Lage sich beruhigt hat, kann die Veranstaltung schließlich ordnungsgemäß weitergehen. Zum Ende der Veranstaltung bekommen wir mit, wie eine der wenigen verbliebenen AfD-Kritikerinnen den Saal verlassen will. Als diese sich mühsam durch die Reihen an “besorgten Bürgern” hindurch kämpfen muss, wird ihr zugerufen: “Mädchen, geh doch nach Köln!”, eine widerwärtige Anspielung auf die Vorkommnisse in Köln und “Mehr Hirn, weniger Nylon!”. Dieser Ausfall steht bei dieser Veranstaltung symptomatisch für eine Partei, die sich alle Mühe gibt, ihren scheinbar bürgerlichen Schafspelz nicht abrutschen zu lassen, aber es manchmal eben nicht verhindern kann. Dr. Marc Jongen ist einer der wenigen verbliebenen Intellektuellen in der mittlerweile weitgehend professorenfreien AfD. Doch auch hier verschwimmen die Trennlinien zwischen Rechtskonservatismus und Rechtspopulismus, zwischen dem Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und autoritären Staatsvorstellungen. In die Veranstaltung sind wir mit Skepsis gegenüber der AfD gegangen. Aus ihr heraus kamen wir mit der Überzeugung, dass diese Partei in Deutschland keine politische Verantwortung tragen darf.
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