Moralokratie

Moralokratie – Das Gut, Recht zu haben. Folge 2

Der zweite Teil der kurzen Einführung in die zauberhafte neue Welt der Moralokratie setzt die Theorie von Popitz fort. Unsere Minderheit mit Machtanspruch hat bislang festgestellt, dass Sachargumente zu schwach sind, um den eigenen Willen durchzusetzen, schließlich können Sachargumente gegeneinander abgewogen werden. Fortan werden also Ängste geschürt (wo sind eigentlich das große Waldsterben und das Ozonloch?), Tränen vergossen und subjektiviert. So bleibt man schön unangreifbar. Denn wer immer Recht hat, kann nie falsch liegen und wer nie falsch liegt, meint es immer gut – und das Gut Recht zu haben liegt fortan bei den Moralokraten.

Phase 2: Teilung der Gruppe

Der alleinige Glaube an den Besitz des Gutes reicht allerdings noch nicht aus, um den Machtanspruch gesamtgesellschaftlich zu sichern. Fortan werden Wächter benötigt, die die neue Ordnung vor einem breiten Publikum rechtfertigen – und wer bietet sich dafür besser an als die Gruppen, die ohnehin den moralischen Zeigefinger von Geburt an angelegt haben: weite Teile der evangelischen Kirche und natürlich die nicht wenigen pseudo-kritischen Politikboulevardjournalisten. Schließlich erfüllen Medien eine wesentliche demokratisierende Funktion, indem sie zum einen als Sprachrohr der politischen Elite und zum anderen als staatsfernes Kontrollgremium frei und ohne Zensur gemäß Artikel 5 GG über politische Vorgänge berichten sollen. Denn angefangen mit dem Scherbengericht in der Antike, diente die Demokratie vor allem den kleinen Leuten als Möglichkeit, „sich Herrschaft (…) auf unblutige (…) Weise vom Halse zu schaffen und dann eventuell eine neue einzusetzen“ (Leggewie, 2009, S. 71).

Allerdings, wie schon in Phase 1 formuliert, steht die grün-linke Ideologie der Theorie des Diskurses diametral entgegen. Aus der eigentlich gewünschten gemeinsamen Basis an sachlichen Informationen erhoffen sich die Theoretiker „ein hohes Niveau des öffentlichen Diskurses, [deren Beschlussfassung] in administrativ verwendbare Macht transformiert wird“ (ebd. S. 243). Die Funktion, Öffentlichkeit zu schaffen und das Fundament unserer Demokratie des Wissens zu legen, kommt den Medien zu, die durch die Macht der Information sowohl legitimieren als auch deligitimieren können. Doch diverse Erhebungen belegen, darunter auch die der Freien Universität Berlin, die ganz sicher nicht in dem Verdacht steht, politisch auch nur einen Schritt rechts von der Einstellung mitte-links zu liegen, dass sich 2010 über 60% der Politikjournalisten einer Partei nahe fühlen: 26,9% den Grünen, 15,5% der SPD, 9,0% der CDU,  7,4% der FDP und der Linken 4,2% (Lünenborg  & Berghofer 2010, S. 13).

Eine gewisse Diskrepanz ergibt sich dann allerdings, wohlgemerkt aus einer älteren Studie, wenn das Selbstbild des Journalisten mit der eigenen politischen Orientierung kollidiert: „Fast neun von zehn der befragten Journalisten (89 %) wollten ihr Publikum möglichst neutral und präzise informieren“ (bpd, Erhebung 2005). Allerdings schätzen sich Politikjournalisten „auf einer rechts‐links‐Skala etwas links von der Mitte ein und das Medium[1], bei dem sie tätig sind, etwas mehr rechts als ihre eigene Position“ (Lünenborg  & Berghofer 2010, S. 13).

Gerade die wesentliche Rolle der Medien, die auch eine Wächterfunktion für eine Ideologie einnehmen kann, macht es so wichtig, einen Blick auf die Qualitätskriterien von Journalisten zu legen: Im normativen Verständnis sind diese: Relevanz, Richtigkeit, Vielfalt, Sachlichkeit, Ausgewogenheit, Transparenz und Verständlichkeit (vgl. Hagen, 1995). Dies entspricht zumindest der gewünschten Vorstellung. Uli Gleich untersucht in seinem Beitrag „Informationsqualität von Medienangeboten aus Nutzersicht“ die Kehrseite des normativen Qualitätsverständnisses aus Sicht der Rezipienten. Mehrere angeführte Studien, darunter Jungnickel (2011), kamen dabei zu dem Ergebnis, dass Konsumenten „mehr oder weniger intuitiv durchaus professionelle Beurteilungsmaßstäbe an Medieninhalte anlegen, um diese hinsichtlich ihrer Qualität zu beurteilen“ (Gleich, 2012, S. 107). Mit anderen Worten wären politisch motivierte Inhalte der wenigen Überzeugungstäter, wie sie in der Phase 2 als Mittel zur Spaltung der Gruppe angelegt werden, gar nicht mal so beunruhigend, allerdings gibt es ja noch das Phänomen der kognitive Dissonanz.

Die Theorie besagt, dass Rezipienten in ihrem Kommunikationsverhalten instinktiv die Informationen, Meinungen und Einstellungen filtern, die die eigene Geisteshaltung widerspiegeln oder verstärken und die gegenteiligen ausblenden. Gleichzeitig entwickelt sich jedoch bei einer Übereinstimmung in der Berichterstattung und der eigenen Weltsicht die Grundlage für eine „vertrauenswürdige Marke“ (2012, S. 107), die „zu einer höheren Glaubwürdigkeitseinschätzung des Mediums und diese wiederum zu einer höheren Glaubwürdigkeitseinschätzung der Nachricht führte“ (2012, S. 111). Ganz einfach erklärt: Ist der Besitzanspruch der einzigen moralischen Richtigkeit erst einmal bei dem geneigten Empfänger angekommen und akzeptiert, wird er fortan verstärkt an deren Richtigkeit glauben. Wir erinnern uns an das „Vertrauensma­nagement als Teil eines politischen Emoti­onsmanagements“ von Schaal und Heidenreich (2013)? Da aber nun ein Distributionskanal angezapft wurde, können wirklich alle über die neuen Besitzer der Moral informiert werden, schließlich könnte es ja passieren, dass ein paar gallische Dörfer noch gar nichts davon mitbekommen haben. Da die eigene Gruppe aber weiterhin personell die Minderheit stellt, muss es gelingen, die Nachricht aber noch weiter zu streuen und gesellschaftlich zu manifestieren.

[1] Umso schöner ist im Übrigen auch die Spendenaufforderung „Linker Journalismus ist nicht umsonst“ auf der Seite der sozialistischen Tageszeitung www.neues-deutschland.de.

 

Welche Rolle die evangelische Kirche bei der Spaltung der Mehrheit einnimmt, folgt in 14 Tagen in Teil 3.

 

Lünenborg, M.  & Berghofer, S. (2010): https://www.dfjv.de/documents/10180/178294/DFJV_Studie_Politikjournalistinnen_und_Journalisten.pdf , S. 13

Gleich, U. (2012): Informationsqualität von Medienangeboten aus Nutzersicht, Media Perspektiven 2/2012, S. 107 – 113

Bundeszentrale für politische Bildung (2005): http://www.bpb.de/izpb/7527/wer-journalisten-sind-und-wie-sie-arbeiten?p=all

Hagen, L., M. (1995): Informationsqualität von Nachrichten. Messmethoden und ihre Anwendung auf Dienste von Nachrichtenagenturen; Opladen: Westdeutscher Verlag


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