Spanien

Und alle fühlen sich als Sieger – Analyse der Wahl in Spanien

Die spanischen Parlamentswahlen sind gelaufen und alle fühlen sich als Sieger. Doch gleichwohl kann man alle vier großen Parteien auch als Verlierer betrachten:

  • Die konservative Partido Popular (PP) ist ein Verlierer, weil sie ihre absolute Mehrheit verspielt hat. Von fast 45% vor vier Jahren stürzte man auf unter 29% ab. Eine schallende Ohrfeige für den als fad und emotionslos geltenden Ministerpräsidenten Mariano Rajoy. Dennoch fühlt man sich als Sieger, da man nach wie vor mit großem Abstand die größte politische Kraft ist und damit einen klaren Regierungsauftrag hat.
  • Auch die sozialdemokratische Partido Socialista Obrero Español (PSOE) ist ein Verlierer, weil man von knapp 44% in 2008 auf 29% in 2011 fiel und nun sogar auf ein historisches Tief von 22%. Dennoch fühlt man sich als Sieger, da man zweitstärkste Kraft bleibt und den aufstrebenden Podemos und Ciudadanos die Stirn bieten konnte. Sollte es der PP nicht gelingen, eine Koalition zu bilden, so wäre man als Nächstes am Zug.
  • Die sozialistische Bewegung Podemos ist ein Verlierer, weil sie die medialen Erwartungen, die man in sie gesetzt hat, nämlich den Erfolg von Syriza in Griechenland auf Spanien zu übertragen, nicht erfüllen konnte. Wenn man bedenkt, dass die Umfragewerte vor einem Jahr noch bei 25-30% lagen, dann kann man mit rund 21% eigentlich nicht zufrieden sein. Dennoch fühlt man sich als Sieger, weil man aus dem Stand heraus für einen Paukenschlag gesorgt hat. Außerdem lagen sie in den letzten Umfragen bei nur rund 15%, das heißt man hat in der letzten Woche vor der Wahl noch mal richtig Boden gut gemacht.
  • Die liberalen Ciudadanos sind ein Verlierer, weil man den Aufstieg der letzten Wochen mit Umfragewerten von zuletzt rund 20% und die Aussicht auf die zweitgrößte Fraktionsstärke nicht ins Ziel retten konnte. Man wird nur viertstärkste Kraft mit weniger als 14% der Stimmen. Bei den Wahlen zum Senat konnte man keinen einzigen Sitz erringen. Dennoch fühlt man sich als Sieger, weil man in einem Land ohne besondere liberale Tradition ein sehr starkes Wahlergebnis erzielt hat und damit die spanische Parteienlandschaft komplett durcheinandergewirbelt hat. Auch wenn man in Umfragen zeitweise besser dastand, so hat man ein unglaublich gutes Ergebnis erzielt, von dem man vorher nie geträumt hatte, schließlich lag man vor einem Jahr in Umfragen noch unter 5%.

 

Trends, die wir vorausgesagt haben

Zwei Trends, die wir schon sehr früh vorausgesagt haben, wurden nun Realität: Zum einen das Ende des spanischen Zweiparteiensystems, zum anderen der Untergang der liberalen Partei Unión, Progreso y Democracia (UPyD), die vor vier Jahren noch bei rund 5% lag und nun mit nur 0,6% deutlich den Einzug ins Parlament verpasste. Ihre Wähler wanderten zu den Ciudadanos. Eine weitere Wählerwanderung war zu beobachten von der traditionellen sozialistischen Partei, der Izquierda Unida (IU), zu Podemos. Die IU sank von 6,9% auf 3,7% und hat nur noch zwei Sitze im Parlament. Man darf daher darauf gespannt sein, ob die IU sich nun Podemos anschließen wird. Da das Wahlrecht in Spanien eine 3%-Hürde nicht auf nationaler, sondern nur auf regionaler Ebene vorsieht, werden regionale Parteien tendenziell bevorzugt. Insgesamt 25 Sitze entfallen auf separatistische Regionalparteien aus Katalonien, dem Baskenland und den Kanaren sowie ein Sitz auf eine gemäßigte Regionalpartei von den Kanaren.


 

Wie geht es nun weiter?

Wie geht es nun weiter in Spanien? Die Situation ist nicht nur höchst ungewöhnlich, sondern auch höchst ungewohnt. Bisher war die Bildung einer Koalition nie erforderlich, nun ist es unumgänglich. Die spanische Verfassung sieht vor, dass sich der spanische König nach der Konstitution des Parlaments am 13. Januar mit den Vorsitzenden der Parlamentsfraktionen berät und anschließend einen Kandidaten mit der Regierungsbildung beauftragt. Normalerweise würde er den Vorsitzenden der Fraktion mit der absoluten Mehrheit beauftragen, doch dieses Mal ist alles anders. Sollte bis dahin eine Koalitionsmehrheit gegen Rajoy stehen, so dürfte er den Kandidaten dieser Koalition ernennen, andernfalls ist es wahrscheinlich, dass er Rajoy ernennt.

Rajoy ist daher zuerst am Zug und hat PSOE und Ciudadanos Koalitionsverhandlungen angeboten, da diese die einzigen beiden Parteien seien, mit denen bei den inhaltlich wichtigsten Themen Übereinstimmung herrscht, wie „die Verteidigung der verfassungsgemäßen Ordnung, die Einheit Spaniens, die nationale Souveränität, die Gleichheit der Spanier untereinander, die Rolle Spaniens in der Welt und der Kampf gegen den Terrorismus“, so Rajoy. Inhaltlich ist dies eine klare Absage an Podemos und die Regionalparteien. Allerdings haben beide Parteien bereits angekündigt, sich nicht als Juniorpartner in eine Koalition mit Rajoy zu begeben, zumal bei den Ciudadanos noch hinzukommt, dass dieses Bündnis keine absolute Mehrheit haben würde.

Dies hat zur Folge, dass die PSOE alle Trümpfe in der Hand hat, denn sie wissen: wenn sie bei einem eventuellen Wahlgang von Rajoy zum Ministerpräsidenten mit „Nein“ stimmen, dann ist dessen Wahl ausgeschlossen, da Podemos und die Regionalparteien ohnehin mit „Nein“ stimmen würden und es dann selbst mit Ja-Stimmen aus den Reihen der Ciudadanos nicht reichen würde. Und so ließ die PSOE bereits lauthals verkünden, dass man definitiv mit „Nein“ stimmen werde. Dann wäre man selber am Zug und würde vermutlich zunächst versuchen, ein Bündnis aus PSOE, Podemos und Ciudadanos zu schmieden, quasi ein Bündnis gegen die aktuelle Krisenpolitik Rajoys. Dies dürfte allerdings aufgrund unüberbrückbarer inhaltlicher Differenzen zwischen Podemos und Ciudadanos scheitern.

So scheint es für mich persönlich aktuell am Wahrscheinlichsten, dass die PSOE versuchen wird, ein Bündnis mit Podemos und den Regionalparteien zu formen. Auch die zwei Mandate der Izquierda Unida wären eine sichere Bank. Für diese Konstellation spricht, dass Podemos schon angekündigt hat, Grundlage für eine mögliche Koalition sei ein Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien und mehr Rechte für die autonomen Regionen. Solch ein Vorhaben dürfte mit der PSOE viel eher möglich sein als mit der PP, denn in ihrer letzten Regierungszeit unter Zapatero hat die PSOE die Stellung der autonomen Regionen gegenüber dem Nationalstaat gestärkt. Nicht unwahrscheinlich, dass auch einige der Regionalparteien in dieses Bündnis einsteigen würden, zumal die meisten dieser Abgeordneten dem linken politischen Spektrum zuzuordnen sind. Allerdings werden diese in sehr radikaler Manier einen klaren Unabhängigkeitskurs fordern, während die PSOE hiervon inhaltlich noch sehr weit entfernt ist.

Albert Rivera, Chef von Ciudadanos und starker Verfechter der Einheit Spaniens, warnt vor solch einer Konstellation, zumal sie sehr viele Parteien umfassen würde und ein dauerhafter Zusammenhalt in dieser Koalition nahezu unmöglich wäre. Er bringt als weitere Option eine Minderheitsregierung ins Spiel. Und nicht zuletzt sind natürlich auch Neuwahlen nicht ausgeschlossen.

Letzten Endes ist man nach der Wahl also genauso schlau wie vorher, weil sich an der Ausgangslage nichts geändert hat. Wir werden das Geschehen daher weiter verfolgen und berichten, wie sich die Parteien im Koalitionspoker positionieren.


 

Die bisherigen Teile unserer Reihe über die Wahl 2015 in Spanien:

Teil 1 – Die Wahl 2015 in Spanien

Teil 2 – Der Kampf der Unabhängigkeit in Katalonien

Teil 3 – Die andalusische Heide Simonis

Teil 4 – Das Ende des Zweiparteiensystems

Teil 5 – Pedro Sánchez – Der Herausforderer

Teil 6 – Katalonien – Gemeinsam für das „Ja“

Teil 7 – Katalonien und die Unabhängigkeit – Madrid hat die Hosen voll

Teil 8 – Noch eine Woche bis zur Wahl


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