FPÖ - Österreich - HC Strache

Die FPÖ auf dem Weg zum Kanzleramt: Wird Strache Regierungschef?

Der Aufschrei war groß, als dieser Tage die rechtslastige Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) bei der Landtagswahl in Oberösterreich über 30 % der Stimmen holte und damit sogar die Kanzlerpartei SPÖ hinter sich ließ. Noch größer wird der Aufschrei, wenn am 11. Oktober Wien einen neuen Landtag wählt. Hier könnte gar das Undenkbare geschehen und die FPÖ stärkste Partei werden. Lag sie in den Umfragen zwar lange auf Platz 2, aber doch weit hinter der regierenden SPÖ, so schließt sie derzeit immer weiter auf. Nicht unwahrscheinlich ist es, dass sich dieser Trend weiter fortsetzt und am Wahltag noch manch zusätzlicher Bürger die FPÖ ankreuzt, der sich in den Umfragen nicht outen mochte. Zwar wird sich eine Mehrheit für Heinz-Christian Strache als Bürgermeister so oder so nicht finden, doch würde ein Wahlsieg den FPÖ-Chef seinem eigentlich Ziel ein Stück näher bringen: der Kanzlerschaft für ganz Österreich. Was zunächst unrealistisch klingt, könnte 2018 tatsächlich real werden. Hierfür sind eine Reihe aktueller und struktureller Gründe ausschlaggebend:

  1. Das politische System Österreichs ist festgefahren. Die jahrzehntelange unangefochtene Stellung von ÖVP und SPÖ hat in beiden Parteien die Überzeugung reifen lassen, Österreich gehöre ihnen. Die Große Koalition regiert das Land mit wenigen Ausnahmen durchgehend seit dem 2. Weltkrieg. Während etwa Großbritannien solche „nationalen Koalitionen“ nur in Kriegszeiten bildet, währt der demokratietheoretische Ausnahmezustand in Österreich permanent. Wahlen führen insofern höchstens zum Tausch der Plätze eins und zwei zwischen ÖVP und SPÖ, münden aber schlussendlich doch so gut wie immer in einer Koalition beider Parteien. Diese Praxis hat einerseits eine tiefe Verachtung von Teilen der Bevölkerung allem Politischen gegenüber entstehen lassen, die die FPÖ als Anti-Establishment-Partei gut aufzugreifen versteht. Anderseits hat die Zweiparteienherrschaft Österreich auch in erheblichem Maße verfilzt und politisch gelähmt. Das Land scheut harte Auseinandersetzungen und klare Entscheidungen, ständige Kompromisse und die Beteiligung aller an Allem verwischen Verantwortlichkeiten und korrumpieren mit der Zeit. Es hat sich in vielen politischen Bereichen von der Staatsorganisation über das gesamte Sozialsystem bis hin zum völlig überregulierten Arbeitsmarkt ein enormer Reformstau ergeben. Auch dieser Reformunwille und die Stillstandsliebe von ÖVP und SPÖ sind Gründe für eine starke FPÖ.
  1. Das Verhalten der anderen Parteien und der Medien geben der FPÖ Auftrieb. Es gehört nicht nur in Österreich zum guten Ton, jede Äußerung und Position einer rechtslastigen Partei mit Ignoranz und Missachtung zu strafen. So werden politische Initiativen der FPÖ in der Regel nicht debattiert oder gar umgesetzt, unabhängig von ihrer inhaltlichen Qualität. Befassen sich die anderen im Nationalrat vertretenen Parteien doch einmal mit der FPÖ, dann häufig in Form bloßen Negative Campaignings. Statt die Politik der FPÖ inhaltlich zu stellen, wird die Partei ins politische Aus gestellt – die Solidarisierung unzufriedener Bürger mit der geschnittenen FPÖ ist die Folge. Die Reaktion der anderen Parteien auf die jüngsten Wahlerfolge der FPÖ in der Steiermark, dem Burgenland und Oberösterreich, deren Wähler seien nur schlecht informiert gewesen und hätten sich blenden lassen, kommt zudem einem politischen Offenbarungseid gleich und lässt jeden Respekt vor der Willensbekundung mündiger Bürger vermissen. Wo inhaltliche Auseinandersetzungen mit den Konzepten der FPÖ nötig wären, folgen nur Sprechblasen der Betroffenheit.
  1. Die FPÖ hat die wirren ihrer eigenen Vergangenheit mittlerweile hinter sich gelassen. Der Bruderkampf mit dem späten Jörg Haider und seinem BZÖ ist überwunden, der ehemals mächtige und dann abtrünnig gewordene Landesverband Kärnten wieder eingefangen und zurück auf Spur gebracht. Zudem ist Frank Stronach mit seinem wirtschaftsliberal-populistischen Team Stronach gescheitert, seine Wähler zu guten Teilen zur FPÖ gewandert. Das dritte Lager steht so geschlossen wie lange nicht hinter der FPÖ.
  1. Die österreichische Bundesregierung präsentiert sich in der aktuellen Flüchtlingskrise unfähig. Ähnlich wie Deutschland und Schweden sieht sich das Land einer kaum zu bewältigenden Migrationswelle gegenüber. Auch wenn die allermeisten Einwanderer bloß auf der Durchreise nach Deutschland sind, müssen sie in Österreich versorgt und untergebracht werden. Den Schwierigkeiten hierbei und insbesondere den hunderttausendfachen illegalen Grenzübertritten begegnen SPÖ und ÖVP weitgehend passiv. Dies gipfelte im Eingeständnis von Bundeskanzler Faymann, man könne es ohne Entlastung aus Deutschland nicht schaffen. Vor dem Hintergrund des entschlossenen und kraftvollen österreichischen Handelns während der eigenen Grenzbedrohung im Zuge der Jugoslawienkriege vor zwanzig Jahren kann man diese Aussage auch übersetzen als: Die Flüchtlinge wollen alle nach Deutschland, das ist also bitteschön nicht unser Problem. Dieses Stillhalten im Angesicht einer kleinen Völkerwanderung mitten durch Österreich verunsichert und verärgert große Teile der Bevölkerung – deren natürlicher Ansprechpartner hierfür die FPÖ ist.

Diese vier Faktoren begünstigen den Zuspruch zur FPÖ, deren Chef Heinz-Christian Strache in den Umfragen schon heute gemeinsam mit der konservativen ÖVP Bundeskanzler werden könnte. Damit es so weit nicht kommt, braucht Österreich mehr als Sprechblasen der Betroffenheit. Das politische System muss sich strukturell und inhaltlich verändern, um Populisten ihre Angriffsfläche zu nehmen. Das Land muss sich politisch erneuern, Vertrauen der Bürger in die Politik wiederherstellen und harte Debatten zulassen:

  1. Grundlegend muss der Verdacht der Verfilzung, Korrumpierung und Verantwortungsdiffusion ausgeräumt werden. Dazu sind erstens Reformen in der Staatsorganisation und zweitens eine umfassende Zurücknahme des politischen Bereichs zu Gunsten der freien Gesellschaft nötig. Proporzregierungen, die demokratische Wahlen ad absurdum führen, müssen schnellstens abgeschafft und durch freie Regierungsbildungen ersetzt werden. Regierungen sollten nicht mehr durch die Große Koalition gebildet werden, sondern an den Flügeln des Parteiensystems unter Einschluss der Grünen und NEOS. Der Bundesrat, der so gut wie keine Kompetenzen hat, muss abgeschafft werden und den Nationalrat als einzige Legislativkammer stärken. Die üppige Parteienfinanzierung des Staates muss auf ein ertragbares Maß gesenkt, direktdemokratische Elemente dafür in der Umsetzung anwendungsfreundlicher werden. Diese Maßnahmen stärken das demokratische Prinzip, zeigen Verantwortung klarer auf und verringern die Distanz zwischen Staat und Bürger. Darüber hinaus muss sich die Politik stärker aus der Gesellschaft heraushalten, um Klientelismus und Gefälligkeitspolitik zu erschweren. Insbesondere muss das in Österreich exzessiv praktizierte Modell des staatlich geschützten Sozial- und Arbeitsmarktkartells aufgegeben werden; die Bürger müssen mehr Freiheit und auch mehr Verantwortung erhalten, um unabhängiger vom parteipolitischen Stimmenfang zu werden. Schnellstens muss sich der Staat zudem aus dem Rundfunk zurückziehen und eine plurale Debatte privater Anbieter zulassen.
  1. Die anderen Parteien müssen die Präsenz der FPÖ endlich akzeptieren und ihre rhetorische Betroffenheit durch inhaltliche Substanz ersetzen. Positionen der FPÖ dürfen nicht einfach als rechts abgetan werden, sondern müssen in der Debatte gestellt werden. Warum sind die Forderungen der Partei in der Sache falsch, nicht zielführend oder nicht bezahlbar? Welche alternativen Konzepte existieren und warum sind diese den Vorschlägen der FPÖ überlegen? Das sind Fragen, denen sich SPÖ, ÖVP, Grüne und NEOS dringend stellen müssen. Die Wähler der FPÖ gilt es zudem nicht zu beleidigen oder herabzuwürdigen, sondern inhaltlich von den Lösungen der anderen Parteien zu überzeugen.
  1. Die relative Geschlossenheit des dritten Lagers aufzubrechen, stellt Anforderungen an die anderen Parteien. Diese müssen klarmachen, warum auch sie für Teile des FPÖ-Lagers eine wählbare Alternative darstellen. Damit ist keine Anbiederung an rechte Thesen gemeint, sondern die zielgruppenscharfe Fokussierung bestimmter Themen. Die FPÖ rekrutiert ihre Wähler mittlerweile aus allen gesellschaftlichen Schichten. Damit ergeben sich für SPÖ, ÖVP und NEOS besondere Ansatzpunkte. Steht nicht auch die SPÖ für den „kleinen Mann“ ein, der sich Sorgen um seinen Arbeitsplatz macht und dem globalen Freihandel wenig abgewinnen kann? Ist das Weltbild von der Familie aus Mann, Frau und eigenen Kindern nicht auch in der ÖVP zu Hause? Bietet NEOS nicht mit seinem Wahlspruch „Wir erneuern Österreich“ die Antwort auf das verfilzte und stillstehende politische System im Land? Alle Parteien könnten ohne jede inhaltliche Verschiebung mehr tun, um FPÖ-Wähler von der Abkehr zu überzeugen. Ignoranz und Missachtung helfen niemandem.
  1. In der Asyldebatte ist ein schnelles Umsteuern der Bundesregierung gefragt. Auch wenn die meisten Migranten Österreich in der Tat nur als Transit nach Deutschland sehen, kann der Rechtsstaat den massenhaften Bruch der europäischen und nationalen Asylgesetze nicht unkommentiert lassen. Statt Deutschland um Hilfe zu bitten, muss Bundeskanzler Faymann auf europäischer Ebene deutlich machen, dass die mangelnde Solidarität und Rechtsdurchsetzung der süd- und südosteuropäischen Staaten nicht hinnehmbar ist. Österreich unterstützt diese Länder seit vielen Jahren mit Milliarden Euro, darauf muss offensichtlich deutlich hingewiesen werden. Die Passivität der Bundesregierung muss einem Aktionsplan weichen, mit dem Österreich wieder aus eigener Kraft Herr des Verfahrens wird.

Noch sind es ziemlich genau drei Jahre, um das Szenario eines Bundeskanzlers Strache zu verhindern. Es liegen Maßnahmen auf dem Tisch, die ohne inhaltliches Zugehen auf die Rechten deren politische Grundlage schwächt. Ergeht sich das Land aber weiter in Sprechblasen der Betroffenheit und bleibt im Stillstand haften, könnte die Nationalratswahl 2018 zur echten Zerreißprobe für die österreichische Gesellschaft und die Europäische Union insgesamt werden. Man darf gespannt sein, wen der 2016 neu zu wählende Bundespräsident 2018 angelobt – auch hier hat die FPÖ übrigens gute Chancen zumindest auf die Stichwahl.


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Kommentare

Eine Antwort zu „Die FPÖ auf dem Weg zum Kanzleramt: Wird Strache Regierungschef?“

  1. Avatar von Frank
    Frank

    Ihre Punkte, insbesondere die Punkte 2 und 3 sind sicherlich richtig und führen sicherlich zu einer Verminderung des Erfolgs und der Durchschlagkraft der FPÖ – allein die Frage ist ob diese Punkte so umsetzbar sind.
    Erstens implizieren Sie, dass „die Forderungen der Partei in der Sache falsch, nicht zielführend oder nicht bezahlbar“ sind, sowie dass „alternativen Konzepte existieren und […] diese den Vorschlägen der FPÖ überlegen“ sind. Die Frage, die sich stellt, ist nicht „Warum“ dies so sei, sondern „Ob“ das so ist. Eine echte Auseinandersetzung über Forderungen und Konzepte, setzt die Bereitschaft Voraus diese zu verlieren.
    Zweitens ist nicht ersichtlich, wie ÖVP und SPÖ durch die pure Rezitation auswendig gelernter Parolen zu längst vergessenen Inhalten das dritte Lager langfristig schwächen soll. Wenn ÖVP und SPÖ ihre Werte reaktivieren und einen darauf beruhenden Wahlkampf führen, dann fliegt das entweder sofort in die Luft oder nach einer weiteren Legislatur in der nicht geliefert wurde. Es reicht nicht, auf Sonntagsreden den kleinen Mann zu erwähnen oder Familie als etwas grundsätzlich irgendwie positives anzusehen, wenn sich dies nicht in der Politik niederschlägt. In einem anderen Bezug habe ich mal von deutschen Christdemokraten die Aussage gehört, man sei ja für dieses und jenes konservative Anliegen, aber man wolle sich nicht dafür einsetzen, solange es keine Mehrheiten dafür gibt. Dies ist ein grundsätzlich falsches Demokratieverständnis, das allerdings in weiten Teilen der Gesellschaft Akzeptanz findet. Man kann, darf und muss zu seinen Werten auch dann stehen, wenn sie minoritär sind. Tut man das aus eigenem Entschluss nicht, ist man Opportunist. Und wenn Opportunisten Politik machen, kommt Österreich dabei raus bzw. „Verfilzung, Korrumpierung und Verantwortungsdiffusion“. Die Flüchtlingskrise ist nur ein weiteres Symptom und somit nur ein Beispiel für 1. und nicht ein separat aufzuführender Punkt.
    Das mag nicht schön sein, aber etwas Morsches wird nicht dadurch stabil, dass es nicht vor die Zerreißprobe gestellt wird. Wenn es den „Etablierten“ nicht gelingt das System kernzusanieren, wird es wer anderes tun müssen. Wieso nicht die FPÖ? Man kann sie ja nach 5 Jahren wieder abwählen.

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