Der Begriff “Sackgasse” ist definiert als eine Straße, die nur von einem Ende her zugänglich ist. Biegt man in eine solche Straße ein, so wird man notgedrungen an einen Punkt kommen, an dem es schlichtweg nicht weiter geht. Will man die Sackgasse verlassen, so muss man früher oder später wenden. Kolumbien hat sich politisch in eine Sackgasse manövriert, aus der es seit Jahrzehnten nicht mehr entfliehen kann.
Das Land war seit jeher gespalten in ein Zweiparteiensystem, das von gewalttätigen Übergriffen geprägt war. Da Recht und Ordnung nicht mehr durchgesetzt werden konnten, bildeten sich Milizen, vor allem die linksgerichtete FARC. Polizei und Justiz in Kolumbien konnten die Sicherheit nicht mehr gewährleisten. Um sich vor den linken Milizen zu schützen und um ihr Hab und Gut zu verteidigen, beauftragten Großgrundbesitzer und Oberschicht schließlich Paramilitärs, die die politische Rechte militant vertraten. Dadurch entstand ein bis heute währender bewaffneter Konflikt, zu dem die staatliche Gewalt als dritte Konfliktpartei hinzukommt. Die Auswirkungen sind verheerend. So gilt Kolumbien als das Land mit den weltweit meisten Entführungen und politischen Morden. Der prominenteste Fall ist die Entführung der grünen Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt durch FARC-Rebellen, beeindruckend geschildert in ihrem Buch „Kein Schweigen, das nicht endet“.
Dieser Konflikt ist jedoch mehrdimensional und vor allem auch von der Drogenproblematik durchzogen. Rund 70% der weltweiten Kokainproduktion entfallen auf Kolumbien – ein Markt der wie geschaffen ist für die bewaffneten Rebellen, die sich weitestgehend über Drogeneinnahmen finanzieren. Insbesondere der FARC wird seit Jahren angelastet, dass man alle einstmals politischen Ziele über Bord geworfen hat, um sich voll und ganz dem Drogengeschäft zu widmen. Den USA ist dies ein Dorn im Auge, da der Großteil dieser Drogen über Mexiko in den Staaten landet, so dass man schon seit geraumer Zeit intensiv versucht, in den Drogenkrieg einzugreifen.
Nun ist es aber nicht so, als wolle Kolumbien dauerhaft in seiner Sackgasse verharren. Álvaro Uribe hat während seiner Präsidentschaft den Versuch unternommen, eine Wende einzuleiten. Er positionierte sich bewusst als unabhängiger Kandidat der Mitte und formierte sein eigenes Wahlbündnis, mit dem er sich politisch zwischen die beiden etablierten Parteien setzte. Er bewegte sich zunächst auf die Paramilitärs zu und erließ im Jahr 2002 eine Art Amnestiegesetz, das Straffreiheit gegen Entwaffnung versprach. Dieses Gesetz hatte jedoch drei große Schattenseiten: Erstens nutzten es viele Kriminelle, vornehmlich aus der Drogenszene, um, als vermeintlicher Paramilitär getarnt, Straffreiheit zu erlangen. Zweitens war es nicht wirklich wirksam, denn obwohl der Prozess 2006 als abgeschlossen und die Paramilitärs als entwaffnet galten, existieren diese de facto heute noch immer. Und drittens deckten Untersuchungen auf, dass es zahlreiche Verbindungen zwischen Paramilitärs und Kongressabgeordneten der Regierungsfraktionen gibt und diese vermutlich vor allem in deren Interesse gehandelt haben. Dennoch sollte man im Ergebnis ein positives Fazit ziehen, denn der Grad der Bedeutung und der Bewaffnung der Paramilitärs ist deutlich gesunken.
Der aktuelle Präsident Juan Manuel Santos ist inhaltlich ebenfalls dem Uribe-Lager zuzurechnen und wurde bewusst als dessen Nachfolger aufgebaut. Er wiederum ging auf die FARC zu und begann 2012 Friedensverhandlungen, deren Entwicklungen Grund zur Hoffnung geben. In drei von sechs Punkten wurde eine Einigung erzielt und seit Juli diesen Jahres gilt eine viermonatige Waffenruhe. Ob sich die Spirale der Gewalt dadurch aufhalten lässt darf bezweifelt werden, denn selbst wenn es gelingen würde, die bewaffneten und politisch orientierten Milizen zu befrieden, so wäre der Drogenkonflikt noch immer präsent und andere Akteure würden in das entstandene Machtvakuum vorstoßen. Darüber hinaus kämpft Kolumbien mit einem von Klientelismus geprägten Kongress und einer korrupten Legislative, und die wirtschaftliche Ungleichheit ist selbst für lateinamerikanische Verhältnisse enorm.
Doch es gibt auch viel Grund zur Hoffnung. Die Wirtschaft wächst kontinuierlich und hat immenses Potenzial aufgrund eines hohen Grades der Industrialisierung und einer großen Menge an Rohstoffen. Das Wirtschaftssystem ist sehr unternehmerfreundlich und rund 40% der Exporte gehen in die USA. Diese sind auch gleichzeitig der größte politische Partner. Für die USA ist Kolumbien, mit 46,4 Millionen Einwohnern immerhin die Nummer zwei Südamerikas hinter Brasilien, der größte politische Verbündete in Lateinamerika und ein Bollwerk gegen die linken Regimes der Region. Kolumbien verfolgt eine verlässliche Außenpolitik und ist stark um Freihandel und Integration in internationale politische Organisationen bemüht.
Unter Berücksichtigung all dieser positiven Aspekte darf man zum Schluss kommen, dass Kolumbien zwar in einer sehr engen Sackgasse gelandet ist. Doch es gibt berechtigte Hoffnungen, dass es gelingen wird, die eingeleitete politische Wende erfolgreich zu vollziehen.
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