Moralokratie
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll die Welt nicht abbilden, wie sie politisch idealerweise sein sollte, sondern so, wie sie nun einmal ist. Dafür bezahlen wir schließlich Gebühren, und das bekanntermaßen nicht freiwillig, sondern zwangsweise, um sicherzustellen, dass der öffentliche-rechtliche Rundfunk nicht finanziell von etwaigen Interessensgruppen abhängig ist. Kein Wunder, dass man sich für den Namen „Demokratieabgabe“ entschieden hat, klingt ja vernünftig und nach einem hehren Ziel. Doch die damit verbundenen Privilegien werden schamlos ausgenutzt.
Die vergangenen Wochen haben wieder einmal aufgezeigt, dass die staatsfernen und politisch neutralen Sender ARD und ZDF das Selbstverständnis eines erziehenden Rundfunks ausleben. Dass sie damit bedauerlicherweise ihrem eigentlichen Auftrag der sachlichen und ausgewogenen Informationsvermittlung nicht gerecht werden und sogar im Gegenteil das Misstrauen gegenüber denin die Medien verschärfen und Wasser auf die Mühlen von Pegida und den Lügenpresse-Chanteuren gießen, scheint in der eigenen Selbstbegeisterung unterzugehen.
Neben den hetzerischen Beiträgen gegen Politik und Wirtschaft eines ARD-„Energieexperten“, der offensichtlich ein Problem mit dem Rechtsstaat hat (Legitimierung von Straftaten etc.) und dessen Nebeneinkünfte so zahlreiche Leserinnen und Leser dieses Blogs scheinbar sehr interessieren, hat sich das politische Pay-TV noch zwei weitere Eigentore geschossen. Die Redaktion der ZDF-Sendung „Aktenzeichen-XY“, die ungeklärte Verbrechen im Rahmen der Öffentlichkeitsfahndung aufklären soll, weigerte sich zunächst, einen Bericht über einen Vergewaltiger in Dortmund zu senden. Die Ursache lag darin, dass der Vergewaltiger eine dunkle Hautfarbe hat. So erklärte die Chefredakteurin Ina-Maria Reize-Wildemann in den Dortmunder Ruhr Nachrichten: „Wir wollen kein Öl ins Feuer gießen und keine schlechte Stimmung befördern. Das haben diese Menschen nicht verdient.“ Nach massivem Protest ruderte das ZDF inzwischen zurück und plant nun, den Beitrag doch zu senden, allerdings: „Der Zeitpunkt muss richtig sein“. Dieser neue Versuch der Selbstzensur ist schockierend und offenbart die Angst der Medien vor sich selbst und den Reaktionen in der Moralokratie. Für das Opfer und die Arbeit der Polizei ist das in jedem Fall mehr als ein Schlag ins Gesicht. De facto ist die inzwischen revidierte Entscheidung eine andere Form von Alltagsrassismus. Wenn die mutmaßliche Straftat eines Dunkelhäutigen, der im Übrigen akzentfreies Deutsch spricht, in einem bunten und weltoffenen Deutschland als Besonderheit medial zensiert werden muss, stellt sich die Frage, wer mit Vielfalt ein Problem hat: die Bevölkerung oder das öffentlich-rechtliche Fernsehen? Ein verklemmter Fernsehsender, der allen Ernstes versucht, Menschen, die optisch „anders“ aussehen, moralisch zu überhöhen, schürt Rassismus und wirft Fragen auf, die garantiert von denen beantwortet werden, die man nicht fragen möchte. Die Aufklärung der Vergewaltigung stellen wir also einmal hinten an: das Trolley-Problem scheint öffentlich-rechtlich gelöst.
Die freiwillige Selbstzensur lässt sich noch weiter steigern. Für Kinder und Jugendliche gibt es in Deutschland die FSK, die nach dem Jugendschutzgesetz sicherstellt, dass Filme, DVDs, Blu-rays und sonstige Medienträger auf eine Altersfreigabe geprüft werden. So werden jugendgefährdende Medien aus dem Umlauf entfernt. Scheinbar gibt es neuerdings auch meinungsgefährdende Medien, die aus dem Programm genommen werden. So ereilt es derzeit Birgit Kelle und Sophia Thomalla, die in der Sendung „Hart aber Fair“ dem „Gender-Gaga“ die Stirn geboten haben. Dies hat bedauerlicherweise dem unabhängigen Frauenrat so gar nicht gefallen und obwohl die Programmbeschwerde abgelehnt wurde gibt der WDR klein bei und nimmt die Sendeaufzeichnung aus der Mediathek. Öffentlich-rechtliche Sendungen, die nicht ihren politischen Meinungsauftrag erfüllen, werden damit also zu meinungsgefährdenden Medien und somit verbannt.
Lieber öffentlich-rechtlicher Rundfunk: zur Diskursethik von Habermas gehört es, das Öffentlichkeit hergestellt wird, ein freier Zugang zu allen Informationen damit eine uneingeschränkte Meinungsbildung stattfinden kann. Darüber hinaus gilt nach Art. 5 GG: „Eine Zensur findet nicht statt“. Ein weiteres Mal zeigt sich also im öffentlich-rechtliche Rundfunk: das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint (nach Kurt Tucholsky).
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