Russland

Russland – Das Ende der Freiheit.

Letzten Mittwoch sprach Zhanna Nemzova, russische Journalistin und Tochter des im Februar  ermordeten Oppositionspolitikers Boris Nemzov,  bei der diesjährigen Rede zur Freiheit der Friedrich-Naumann-Stiftung. Sie berichtete über den Alltag im Regime von Wladimir Putin, über das Engagement ihres Vaters und über die Abwendung Russlands von der Freiheit.

Wer Zhanna Nemzova zugehört hat, muss anerkennen, dass spätestens seit der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim die Spielregeln des Dialogs zwischen Russland und westlichen Demokratien nicht mehr gelten. So ist es ebenfalls an der Zeit für den Westen seine naiven Wunschvorstellungen fallen zu lassen und die Realitäten in Russland zur Kenntnis zu nehmen.

Russland ist ein autoritärer Staat
Europa fußt auf demokratischen Grundwerten und so gehen wir leichtfertig davon aus, dass diese Staats- und Gesellschaftsform von Anderen ebenfalls als die Beste anerkannt und angestrebt wird. In vielen Ländern treiben wir die Demokratisierungsprozesse voran, und das mit guten Gründen. Jedoch müssen wir uns in Bezug auf Russland eingestehen, dass wir schon längst mit keinem Partner sprechen, der die gesellschaftliche und wirtschaftliche Transformation hin zu einer freiheitlichen und liberalen Grundordnung anstrebt, sondern einem, der schnellen Schrittes autoritäre Staatsstrukturen etabliert.

Das heutige Russland zeichnet sich durch diverse Demokratiedefizite aus: gelenkte Medien, durch und durch korrumpierter Rechtstaat, Verletzungen von Bürger- und Menschenrechten, Wahlfälschung, Machtmissbrauch auf allen Ebenen, Verfolgung von Minderheiten und ausufernde Korruption. Im Democracy Index 2014 der Economist Intelligence Unit  belegt Russland Platz 132 von 167, weit abgeschlagen hinter Lybien, Ethiopien sowie Jordanien, und gilt somit als ein autoritäres Regime.

Dies mag in der wertegeleiteten Debatte sehr bedauerlich sein, da eingestanden werden muss, dass die Demokratisierungsprozesse der 90er Jahre gescheitert sind. Realpolitisch ist diese Erkenntnis zwingend notwendig, um eine geeignete Verhandlungsbasis mit dem Regime zu schaffen.

Das primäre Ziel autoritärer Herrschaftsstrukturen im Gegensatz zu demokratischen ist der eigene Machterhalt durch Machtmaximierung. Dieses Ziel ist handlungsleitend und alle staatlichen Ressourcen und Kapitalarten im Sinne Bourdieus sind darauf ausgerichtet das Regime zu festigen und seine Macht zu legitimieren. Diese Handlungsmaximen unterscheidet sich grundlegend von einer gemeinschaftlichen, kompromissbereiten Verhandlungskultur und haben zur Folge, dass ein Regime nicht „partnerschaftlich“ denkt, sondern nur Zugeständnisse  machen wird, wenn es seine Macht dadurch gestärkt sieht und widerruft diese, wenn dies nicht mehr zutrifft. Es gilt die Macht des Stärkeren, und die eigene Stärke und Überlegenheit wird stets zur Schau gestellt, Kompromisse und Zugeständnisse werden als Schwäche ausgelegt. So ist es nicht verwunderlich, dass in Russland die jährlichen Militärparaden absurde Ausmaße annehmen und dringend benötigte Geldmittel verschlingen, Wladimir Putin sich immer wieder als furchtloser Krieger inszeniert, und auf jegliche  Sanktionen mit Gegensanktionen reagiert wird. Die Stärke ist entscheidend auch wenn dabei wirtschaftlicher und politischer Schaden entstehen.

Die Lüge als Machtinstrument
Das russische Regime kultiviert seinen Machterhalt durch staatliche Lenkung aller relevanten Medien, gezielter Propaganda und Repressalien gegenüber zivilgesellschaftlichen Organisationen und der Opposition. Die Lüge ist ein legitimes Instrument geworden, sowohl innenpolitisch als auch in internationalen Verhandlungen und sie dient dem Machterhalt – ganz gleich ob niemand die Absicht hat eine Mauer zu bauen, die eigene Bevölkerung nicht mit Fass-Bomben töten lässt oder sich sehr über die Invasion der „grünen Männchen“  in einem unlieb gewordenen Nachbarstaat wundert. Ein Jahr später lässt man sich dann als Oberbefehlshaber der Operation „Heimholung der Krim“ öffentlichkeitswirksam feiern.

Dass bei der Annexion fremden Staatsgebietes das Völkerrecht sowie vier Grundlagenverträge die KSZE-Schlussakte von 1975, die  Charta von Paris von 1990, das Budapester Memorandum von 1994 und die Nato-Russland-Grundakte von 1997, und die Weltöffentlichkeit mit lächerlichen Erzählungen von Waffenkäufen aus dem Supermarkt zum Narren gehalten wurde, spielt für das Regime keine Rolle, da die Krim-Annexion erheblich zum Machterhalt von Präsident Putin beigetragen hat: Seit März 2014 ist seine Zustimmung innerhalb der Bevölkerung von unter 50% innerhalb des Kriegsjahres auf ein Rekordhoch von aktuell über 80% gestiegen, wie das unabhängige Lewada-institut berichtet. Dass die Bevölkerung so geschlossen hinter seinem Präsidenten steht, der einen hybriden Krieg angezettelt und das Land in die politische Isolation geführt hat, mag auf den ersten Blick verwundern. Zudem steht Russland von einer längeren Wirtschaftskrise, ausgelöst durch fehlende Wirtschaftsreformen sowie den Verfall des Ölpreises, die durch den Westen verhängte Sanktionen aufgrund der Ukraine-Krise beschleunigt wurde. Doch durch gezielte Desinformation werden ausschließlich die USA und die  Sanktionen des Westens als Krisenursachen genannt und Sanktionen nicht als Reaktion auf die Aggression Russlands in der Ost-Ukraine gesehen, sondern als der Versuch gewertet, das standhafte russische Volk, das für die Freiheit seiner Brüder kämpft, in die Knie zu zwingen.

Neuaufleben alter Feindbilder
Durch gezielte Desinformation und Propaganda kann die Lüge wirksam und über lange Zeiträume fortwährend wiederholt werden. Die Folgen sind eine grundsätzliche Unsicherheit über den Wahrheitsgehalt einer jeden Aussage, ein immanentes Misstrauen und Paranoia, und letztendlich eine Apathie gegenüber der Propaganda. Ohne unerwünschtes zivilgesellschaftliches Engagement und mit staatlich kontrollierten Medien, die sowohl im In- als auch im Ausland als „Waffen im Informationskrieg“ (Zhanna Nemzova) genutzt werden, ist die Kontrolle der öffentlichen Meinung keine besonders schwierige Aufgabe. Gleichgeschaltete Medien schüren Ängste in der Bevölkerung, um die Menschen näher an das Regime zu binden und klare Freund-Feind-Bilder zu etablieren.

So ging der Annexion der Krim eine monatelange hysterische Berichterstattung voraus, die die Maidan-Bewegung sowie die neu gewählte ukrainische Regierung als nationalistische und faschistische Junta diffamierte. Das Feindbild einer russophoben, gewaltbereiten ukrainischen Führung diente als Legitimation für die Heimholung der Krim.  Aufgrund der drohenden Gefahr, die die russischsprachige Minderheit auf der Halbinsel von den angeblichen ukrainisch-nationalisten rechtsradikalen Kräften aus dem westlichen Teil der Ukraine zu befürchten hatte, war die Annexion geradezu ein Akt der brüderlichen Barmherzigkeit, und die Kriegshandlungen zu unterstützen – die geradezu heilige Aufgabe eines jeden Patrioten.

Mit dem Bild der Faschisten an der Macht und der Aussicht auf ethnische Säuberungen auf der Krim, wurde wohl die am stärksten kultivierte und zugleich schmerzhafteste Kollektiverinnerung der  sowjetischen Geschichte wach gerufen – der Kampf gegen den Faschismus im zweiten Weltkrieg, bei dem 27 Millionen Sowjetbürger fielen und eine Nachkriegsgeneration hervorbrachte, der der zweite Weltkrieg und der Holocaust viel präsenter sind als die Verbrechen, die Stalin nachfolgend verübte. So ist es keineswegs verwunderlich, dass ein erneutes Aufflammen des Faschismus und der erneuten Gefahr für das russische Volk Wunden aufreißt und tiefen Hass gegen ein Brüdervolk schürt. Die kollektive Abkehr der russischen Bevölkerung von der Ukraine dient dem Regime insofern, dass die Maidan-Bewegung und die Wahl einer neuen Regierung unter Präsident Petro Poroschenko nicht als Ausdruck zivilgesellschaftlicher Demokratisierungsbestrebungen, sondern als Hinwendung zu einem Unrechtstaat gedeutet werden. Dieses klare Feindbild verhindert, dass eine kriegsablehnende Haltung der russischen Bevölkerung durch die Solidarisierung mit den Ukrainern stattfinden kann.

Unterdrückung Andersdenkender
Um Demokratieforderungen, die das Regime schwächen könnten, einzudämmen, arbeitet die russische Regierung gezielt daran die pluralistischen, zivilgesellschaftlichen Strukturen aufzulösen. Demokratische Partizipationsmöglichkeiten, freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit sind bereits stark einschränkt. Der neueste Coup ist das letzte Woche verabschiedete Gesetz, welches der Staatsanwaltschaft erlaubt, ausländische Organisationen ohne richterlichen Beschluss für unerwünscht zu erklären. Dieses Gesetz dient dazu, die Arbeit von russischen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) weiter zu behindern und ihre Unterstützung aus dem Ausland zu erschweren. Dass es kein neuen Gesetz gebraucht hätte, da das Justizministerium zum einen über weitreichende Handlungsspielräume verfügt und es auch aufgrund der „Weisungspraxis von oben“  kein Problem darstellt, gewünschte richterliche Beschlüsse zu erhalten, gilt das Gesetz nur als eine weitere juristische Grundlage, um inländische NGOs einzuschüchtern.

Neben der diffamierenden Darstellung in den staatlichen Medien, sind auch Mitglieder von Oppositionsparteien und kritische Berichterstatter einer fortwährender richterlichen Willkür ausgesetzt. Politisch motivierte Gerichtprozesse wie gegen den oppositionellen Netz-Aktivisten Alexej Nawalny um ihn an der Organisation von Protesten nach den gefälschten Parlamentswahlen im Jahre 2011 und 2013 an einer Kandidatur zur Wahl des Bürgermeisters von Moskau zu hindern. Das bekannteste Beispiel für politisch motivierte Verurteilungen aber bleibt der Fall von Michael Chodorkowski. Viele bekannte Vertreter der russischen Opposition, wie Garri Kasparow, sind bereits ins Exil geflohen.

Mit der Ermordung  von Boris Nemzov, dem ehemaligen Vizepremierminister der Russischen Föderation und einem der bekanntesten Oppositionspolitiker und Regimekritiker Russlands, wurde eine neue Qualität im Kampf gegen Oppositionelle erreicht. Obwohl sich dieser Mord in eine Reihe politisch motivierter Verbrechen gegen Regimegegner einreiht, wirken die Tat und der Tatort wie die Inszenierung einer sakralen Opfergabe an die Obrigkeit und ist ein starkes Signal der Einschüchterung. So wird ein Klima der Angst und der Selbstzensur gefördert, damit niemand den Mut aufbringt, das Regime in Frage zu stellen. Vor seiner Ermordung hat Nemzov an einem Bericht gearbeitet, der nachweisen sollte, dass die russische Führung den Krieg in der Ukraine vorbereitet und finanziert um die Ukraine zu destabilisieren. Selbstverständlich muss der Bericht, der unter dem Namen „Putin. Krieg.“ online frei zugängig ist, kritisch überprüft werden, aber wenn die Vorwürfe stimmen, hat sich die russische Führung der Vorbereitung eines Angriffskrieges schuldig gemacht und Präsident Putin müsste nach russischem Recht seines Amtes enthoben werden.

Mit der Vernichtung liberaler und rechtstaatlicher Strukturen, der Konzentration der Macht innerhalb einer Regierungselite und durch Propaganda baut das russische Regime seine Macht innenpolitisch aus, kann jedoch die praktischen Aufgaben eines funktionsfähigen Staatsapparates nicht mehr erfüllen. So muss auf radikale Mittel zurückgegriffen, um die Unterstützung der Bevölkerung und somit das Überleben des Regimes zu sichern. Die Frage nach einem Grund für den Krieg in der Ukraine lässt sich so ganz pragmatisch beantworten und eine Rückgabe der Krim bleibt ein Wunschtraum.

Selbstverständlich müssen europäischen Staaten mit der russischen Führung um den Frieden in der Ost-Ukraine verhandeln, nur kann nicht mehr vom westlichen Wertefüge ausgegangen werden. Mit Distanz zum Regime und ohne auf nicht eingelöste Versprechen zu warten, müssen die Sanktionen auf die Machthaber in der russischen Regierung, Vertreter des Mediensystem sowie der Exekutive ausgeweitet werden.

Russland ist ein „lupenreines“ autoritäres Regime und muss spieltheoretisch  als auch realpolitisch als ein solches betrachtet werden. Die staatlich gelenkte Propaganda ist das zentrale Machtinstrument zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung und zur Legitimation des autoritären Regimes von Wladimir Putin, und die Höhe ihres Wirkungsgrades darf nicht vernachlässigt werden. Aktuell hat das russische Regime die Möglichkeit, die öffentliche Meinung so stark zu steuern, dass über 80% der Bevölkerung hinter Wladimir Putin stehen und den unrechtmäßigen Krieg gegen die Ukraine befürworten – ein Regimewechsel als Folge zivilen Ungehorsams oder einer ‚friedlichen Revolution‘ ist in näherer Zukunft nicht zu erwarten. Deshalb ist es die Aufgabe liberaler Demokratien, russische oppositionelle Kräfte zu unterstützen und ihnen ein internationales Forum zu bieten. Und „die Propaganda bekämpfen“, fügt Zhanna Nemzova hinzu, damit die Lüge immer und immer  wieder entlarvt werden kann.

 


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Kommentare

2 Antworten zu „Russland – Das Ende der Freiheit.“

  1. Avatar von Reiner Schöne
    Reiner Schöne

    Russland ist schon lange wieder in den alten Trott zurück gefallen. Altes Gedankengut wird ausgegraben und wieder angewand. Viele Stimmen behaupten es hat alles mit dem dem Westen und den USA zu tun, aber ich finde es ist falsch. Es ist die eigene Enscheidung Russland gewesen. Mit Putin fing ein sehr gutes Verhältniss an, bis zu seiner Amtszeit, die er laut ehemaligen russischen Gesetz, gar nicht mehr haben durfte. Das Ganze nannte er immer noch Demokratie. Der Westen war weder politisch noch militärisch auf diese Wende Russlands eingestellt, und stand erst einmal unter einem Schockzustand um zu begreifen. Jetzt wird er, Putin, die Welt in einen neuen kalten Krieg befördern.

    1. Avatar von Ich
      Ich

      Leben Sie weiter in ihrer Traumwelt…

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