Bildung Selbstorganisation

Warum die Fähigkeit zur Selbstorganisation nicht nur von Mama und Papa vermittelt werden sollte

Die beste Bildung der Welt

Am Montag Abend ging es bei Hart aber Fair um das Thema „Problemfall Schule – zu viel Goethe, zu wenig Google?“. Dabei widmeten sich Frank Plasberg und seine Gäste zunächst dem berühmt-berüchtigten Twitter-Post von Naina, den wir in einer vorherigen Ausgabe von „Die beste Bildung der Welt“ bereits adressiert haben („Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ‘ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen”) und nahmen dies genau wie wir vor einigen Wochen zum Anlass, über praxisbezogenen Unterricht zu sprechen.

Josef Kraus, seit 1987 Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, konnte mit der Forderungen, die Schulen sollten ihre Schüler doch auf alles im Leben auf sie zukommende vorbereiten, nicht besonders viel anfangen. „Schule ist für die klassische Bildung zuständig“ meinte er und beantwortete die Ausgangsfrage „zu viel Goethe?“ somit sehr bestimmt mit „Nein“. Für alles andere, wie beispielsweise den oft zitierte Dreiklang aus Steuern, Miete und Versicherungen, seien doch die Eltern da!

In Bayern, wo Josef Kraus als Schulleiter tätig ist, mag das der Normalfall sein. Dennoch ignoriert Kraus dabei komplett, dass sich in anderen Bundesländern teilweise leider ein gänzliches anderes Bild darstellt. Es gibt Schüler, deren Eltern mit dem Abschließen von Arbeits- oder Mietverträgen und weiteren Dingen selbst gänzlich überfordert sind, etwa weil sie kein Deutsch sprechen oder es andere Barrieren gibt. Haben diese Kinder dann Pech gehabt? Man sollte erwarten können, dass die Jugendlichen in Deutschland mit dem Abschluss ihrer Schulbildung auch ein gewisses Wissen über grundlegende bürokratische und/oder wirtschaftliche Notwendigkeiten haben, egal aus welchem Elternhaus sie kommen!
Susanne Gaschke hat vor einem Monat einen Artikel in der WELT veröffentlicht, indem sie Armut nicht materiell, sondern als “die fehlende Fähigkeit zur Selbstorganisation” neu definiert. Wenn man Herr Kraus Betrachtung der Aufgaben von Schulen unter die Lupe nimmt, dann liegt auf der Hand, warum Armut in Deutschland vererbt wird: Weil die Fähigkeit zur Selbstorganisation in Schulen nicht ausreichend vermittelt werden und weil gerade in diesem entscheidenden Bereich der Entwicklung darauf vertraut wird, dass die Eltern das schon richten werden.

Hat das Schulsystem etwas gewonnen, wenn es Schüler hervorbringt, die Goethe zitieren, aber keine Versicherung abschließen können? Natürlich kann man von den Schulabsolventen erwarten, dass sie selbst Recherche betreiben, auch wenn ihre Eltern ihnen dabei nicht helfen können. Dennoch ist es sehr wichtig, die “klassische Bildung” in Zukunft vermehrt mit praktischem Wissen zu verknüpfen und den Schülern so grundlegende Kenntnisse zu vermitteln. Diese Erkenntnis und Einsicht erwarte ich auch oder besonders vom Präsident des Deutschen Lehrerverbandes.


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