Die Autoren von Guns and Burgers haben sich in den letzten Tagen bewusst zu den Ereignissen des 24. März 2015 bedeckt gehalten. Warum? Weil bislang keine gesicherte Erkenntnis vorliegt, außer der, dass 150 Menschen auf tragische Weise ihr Leben verloren haben. Auch zu der effekthaschenden Berichterstattung und teils nachfolgenden heuchlerischen Medienkritik kein Kommentar. Doch bevor überhaupt die Katastrophe sachgemäß analysiert wurde, sprießen schon jetzt politische Irrlichter hervor, die meinen, stigmatisierende Sofortlösungen ausplaudern zu müssen. Und so pietätlos wie die gewählte Überschrift des Artikels, ist die derzeitige Debatte.
Dirk Fischer (CDU) erklärte am 30. März in der Rheinischen Post: „Piloten müssen zu Ärzten gehen, die vom Arbeitgeber vorgegeben werden. Diese Ärzte müssen gegenüber dem Arbeitgeber und dem Luftfahrtbundesamt von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden sein“. In der Diskussion meint Fischer, dem im übrigen auch Karl Lauterbach (SPD) zustimmt, nicht etwa eine Erkältung oder Schmerzen beim Wasserlassen, sondern ausschließlich psychische Erkrankungen. Und schon vor seinem Kommentar ist wohl in dieser Woche kaum ein anderes Wort häufiger gefallen, ohne überhaupt eine einzige gesicherte Information zu haben. Dabei ist die rigide Kausalkette immer dieselbe: psychische Erkrankung eines Menschen – Tod anderer Menschen. Was möchte uns der studierte Rechtsanwalt und Bundestagsabgeordnete Fischer damit sagen?
- Unabhängig von den späteren Untersuchungsergebnissen werden psychisch Erkrankte in der Gesellschaft schlagartig noch stärker stigmatisiert, als sie jetzt schon sind. Müssen sich Erkrankte heute schon gegen unterschwellige Vorwürfe eines „Scheiterns im Leben“ oder gar „Persönlichkeitsschwäche“ ankämpfen, steckt womöglich zukünftig hinter jeder leidenden Seele eine tickende Zeitbombe.
- Schweigepflicht aufheben nur bei Piloten, warum? Wer sich mit Unfallstatistiken beschäftigt, stellt fest, dass kein Verkehrsmittel so sicher ist wie das Flugzeug. Nach Angaben des ACI (Airport Council International) benutzen bald 5 Milliarden Menschen jährlich ein Flugzeug, um an ihr Reiseziel zu kommen. Jede Sekunde besteigen 158 Fluggäste ein Flugzeug. Kein Menschenleben kann gegen ein anderes aufgewogen werden, aber diese Zahlen sollte man sich einmal anschauen, bevor man hervorprescht.
- Die Logik Fischers muss weitergedacht werden. Nicht nur Piloten, sondern jeder, der ein Fahrzeug bewegt, kann dieses einsetzen, um anderen zu schaden. So, wie aus jeder Medizin auch ein Gift und aus jedem Werkzeug eine Waffe werden kann. Um ganz sicher zu gehen, hat scheinbar jeder auf einen elementaren Teil seiner Privatsphäre zu verzichten, der nicht grundlos Verfassungsrang hat.
- Jeder Mensch in jedem Beruf und in jeder Lebenslange kann sich in einer Situation wiederfinden, in der er oder sie nicht alleine weiterkommt. Die Hemmschwelle sich professionelle Hilfe zu suchen und anzunehmen scheint hoch. Wie hoch wird sie dann noch werden, wenn man sich nicht einmal sicher sein kann, dass die tiefsten Gefühle, Gedanken, Sorgen und Ängste nicht an Dritte weitergegeben werden? Wenn an den schon jetzt bestehenden „Ausnahmen nach Einzelfallprüfung“ noch mehr gerüttelt wird? Schlagartig wird dann wohl die Anzahl der diagnostizierten Erkrankungen zurückgehen …
In den vergangenen Tagen vergessen scheinbar viele, dass zwischen Effekthascherei und Heuchelei auch noch ein Mindestmaß an Sensibilität für die unintendierten Aussagen, die in der Berichterstattung transportiert werden, passen muss.
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