Wer 13 Jahre Schule mit Abitur hinter sich gebracht, die Ausbildung oder das Studium abgeschlossen und vielleicht sogar schon gearbeitet hat, blickt irgendwann leicht verklärt auf die Schulzeit zurück. Ach wie schön war es doch immer um 8 Uhr an den stets sauberen Tischen zu hocken, der monotonen Stimme der Lehrerin zu lauschen und das Gefühl zu vermitteln, als wäre man gern und freiwillig hier. Also geben Sie es schon zu: Schule war schon immer ungerecht. Aus mir wurde deshalb auch keiner aus der gefragten MINT-Ecke, kein Mechaniker oder Tischler, sondern einer von denen, die irgendwas mit Politik und Medien machen. Doch glücklicherweise haben die Moralokraten dieses Problem endgültig gelöst.
Szenenwechsel: Wohnzimmer der Familie M. aus S.: Wie konnte denn Sabrina trotz des hervorragenden Unterrichts der zeitnah pensioniert werdenden und burnoutgeplagten Lehrkraft bei Verwendung der siebenmalig ausgeliehenen Schulliteratur von 1999 einfach so eine 5 schreiben? Ratlose Eltern telefonieren mit der Lehrerin und erkundigen sich nach den „Meldegewohnheiten“: Mutter lispelt vorsichtig: „Hat`se denn was gesagt die letzte Stunde?“ und nach einem tiefen Schlucken wird angefügt „Wissen Sie – sie braucht halt manchmal etwas länger“. Der Vater, ein diplomierter Geologe, setzt sich dabei schweigsam an den Computer. Nach wenigen Minuten kommt er grummelnd zurück in das Wohnzimmer und verkündet mit tiefer Stimme „Vielleicht, Schatz, ist es Dyskalkulie, spät diagnostiziert“. Mutter hält sich die Hand vor den Mund: „Damit schafft sie doch niemals das Abitur … und dann auch noch die 4 in Spanisch und Religion“. Betretenes Schweigen. Ein Glück, dass Erlösung naht, denn Mutter fällt es wieder ein: „Es gibt doch die Claudia-Roth-Gesamtschule ganz in der Nähe, da hat es doch der Müller Sebastian auch geschafft.“ Sie fallen sich erleichtert in die Arme, denn der drohende Bildungsabstieg scheint abgewendet. Ende gut alles gut – fast. Denn am Ende wurde mit allen gesprochen, nur nicht mit Sabrina.
Was die überzogene und verkürzte Geschichte zeigt, ist die blanke Angst, die den Eltern heute um die Schulbildung ihrer Kinder eingeredet wird. Zum Glück gibt es in der Moralokratie ja nur noch einen Bildungsweg und dieser führt zum Abitur, koste es Mindeststandards so viel es wolle. Leistung über dem Durchschnitt ist ohnehin verdächtig, verdächtig unsolidarisch. Deswegen geht man den goldenen Mittelweg: Standards runter und die Eltern sind wie sediert und glücklich. Dann gibt es nur noch Gewinner, schließlich kann jeder auf dem ersten Platz mitspielen und wenn nicht, ist er immerhin noch der 24. Gewinner … oder so. Also setzen wir den Kindern Scheuklappen auf und reden ihnen ein, dass sie nur etwas sein können, wenn sie auch anständig Abitur gemacht haben, ganz egal, ob das Inflationsabitur noch den Wert eines „Hakle feucht“ aus der Frischebox hat. Ausbildungsberufe werden politisch stigmatisiert, als Bildungsversagen tituliert und später spöttisch aus dem AStA der philosophischen Fakultät belächelt. Wer aber schon in der Schule über das Mindestmaß hinausgeht, bekommt natürlich auch einen drüber, schließlich passt er sich nicht an die anderen an, ist ein Integrationsverweigerer. Dass dieses System nur Versager produzieren kann, liegt auf der Hand. Wer seinen eigenen Weg geht, muss etwas falsch machen.
Kein Wunder also, dass sich inzwischen mehr und mehr private Anbieter in der Schullandschaft tummeln und neben dem Mittelmaß auch noch exklusive Angebote machen, da das Gymnasium schon sehr bald der neuen Ideologie weichen muss. Junge Menschen in Bildungssystemen zu differenzieren grenzt schließlich an Menschenverachtung, denn ihr Weg muss der Weg sein, den der ideologische Staat vorgegeben hat. Künftig will mal deshalb sogar Sitzenbleiben und „Abschulen“ an Gymnasien ganz verbieten. Die Parole lautet: friss oder stirb.
Von daher kann man es Naina gar nicht mal so übel nehmen, dass sie in ihrem national bekannten Tweet: „Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann `ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen“ ihr Problem auf den Punkt bringt … nein der Tweed war es nicht, sondern der „Drei Stunden Geschichte Zusatzkurs aka Pizza bestellen, Filme gucken und über Brautkleider diskutieren“. Der eigene Weg muss nicht immer zum Abitur führen.
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