Ein sonniger Tag in Salvador da Bahia, der ersten Hauptstadt Brasiliens. Menschenmassen, überwiegend in Trikots der brasilianischen Seleção gekleidet, begeben sich in Richtung Farol da Barra, dem bekannten Leuchtturm an der Strandpromenade des Stadtteils Barra. Auf den ersten Blick könnte man vermuten, eine Wiederholung der Fußball-WM sei in Gange und die Fans strömten ins Stadion. Doch je weiter man sich dem Zentrum der Massen nähert erkennt man anhand aussagekräftiger und kreativer Parolen auf T-Shirts und Plakaten, dass es sich um eine große Demonstration handelt.
Auf den meisten Plakaten und T-Shirts ist „Fora Dilma“ („Dilma raus“) zu lesen, eine nachhaltige Rücktrittsforderung an die Adresse der Präsidentin Dilma Rousseff. Auch oft zu sehen: Das Wort „Basta“, ergänzt durch einen Abdruck einer Hand mit einem fehlenden Finger, der die Hand des Ex-Präsidenten und Parteigenossen von Rousseff, Luiz Inácio Lula da Silva, darstellen soll. Lula fehlt seit einem Arbeitsunfall ein kleiner Finger, was gewissermaßen zu einer Art Markenzeichen seiner Präsidentschaft wurde.
Dass die Brasilianer alles andere als zufrieden sind mit ihrer aktuellen Regierung konnte man zu Genüge vor und während des Confederation Cups 2013 und der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 wahrnehmen. Doch die Veröffentlichung einer der größten Korruptionsskandale Brasiliens brachte das Fass nun zum Überlaufen.
Petrobras, der staatliche Erdölkonzern und das größte Unternehmen im Lande, soll durch überhöhte Vertragsabschlüsse bei Projekten systematisch Schmiergelder in Milliardenhöhe verteilt haben. Dabei sollen die Gelder vor allem an Politiker der regierenden sozialistischen Arbeiterpartei („Partido dos Trabalhadores“ – TP) von Staatschefin Dilma Rousseff geflossen sein. Auf der Liste der Geldgeber stehen aber offensichtlich auch die Präsidenten des Senats und des Abgeordnetenhauses, deren Partei PMDB der größte Koalitionspartner der Arbeiterpartei ist.
Zwar ist allgemein bekannt, dass Brasilien ein Problem mit Korruption hat, doch das Ausmaß der jüngsten Affäre und die Tatsache, dass offensichtlich die gesamte politische Führung des Landes darin verwickelt ist, haben eine heftige Protestwelle provoziert. Die Brasilianer fühlen diesen Skandal gleich doppelt, weil die Abgabe an den „Fundo partidário“ einen Fonds zur Finanzierung der Politik, massiv erhöht wurde.
Dilma hat es in ihrer Präsidentschaft bisher nicht geschafft, die Probleme des Landes zu lösen. Insbesondere das Bildungssystem Brasiliens ist nach wie vor die größte Baustelle. Zur Zeit warten Studenten auf die Gewährung der Bolsa Permanência, einer Art BAföG. Zahlreiche Studenten die sich für das kommende Semester bereits an Universitäten eingeschrieben haben, konnten die Leistung entweder überhaupt nicht beantragen oder bekommen die Gelder trotz Zusage aktuell nicht ausgezahlt, weil die zuständigen Behörden, genannt IFES (Instituições Federais de Ensino Superior), die Auszahlungen und Anmeldungen gestoppt haben.
Auch der Zustand des Gesundheitssystems ist nach wie vor alles andere als akzeptabel. All diese Verfehlungen der sozialistischen Regierungspolitik Dilmas in Kombination mit dem aktuellen Korruptionsskandal haben die Brasilianer erneut zum Massenprotest auf die Straße gebracht. Anders als im Sommer 2013 liefen die Proteste am vergangenen Wochenende jedoch weitestgehend friedlich ab. Professionell komponierte Lieder mit dem Ausruf „Fora Dilma“, unterlegt mit Sambarhythmen, ließen den Protest eher wie eine karnevalistische Zusammenkunft statt wie Proteste aussehen.
Falls jedoch bei den Ermittlungen im Zuge der Petrobras-Affäre bestätigt werden sollte, dass Dilma ebenfalls ihre Finger im Spiel hatte, dann könnte aus der aktuellen Parole der Demonstranten „Liberté, Egalité, Fraternité, Fora PT!“ ganz schnell eine handfeste Revolution werden, bei der Dilma die Lust auf Sambarhythmen sehr schnell vergehen wird.
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