Was haben ein Schüler aus New York, ein Schüler aus Deutschland und ein Spanischstudent aus Deutschland gemeinsam? Von allen wird erwartet, dass sie Leistung erbringen, um erfolgreich zu sein. Theoretisch. Ein Plädoyer für weniger „Dich ziehen wir auch noch mit“ und mehr „Wenn du dich anstrengst, dann schaffst du das. Wir glauben an dich und helfen dir, so sehr wir können, aber anstrengen kannst nur du dich.“
Brandon Stanton spaziert jeden Tag durch die Straßen New Yorks, fotografiert Passanten, fragt sie nach ihrer Geschichte und postet diese dann auf seiner Facebook-Seite „Humans of New York“. Als er vor kurzem durch Brownsville, einen der berühmt-berüchtigtsten Stadtteile New Yorks ging, traf er den Schüler Vidal. „Wer hat dich am meisten beeinflusst?“, fragte der Fotograf Vidal. „Meine Schulleiterin!“, antwortete dieser sofort „Sie sagt uns immer, dass jeder von uns wichtig ist“. Stanton war beeindruckt von der Schulleiterin, die ihre Schüler derart beeinflusst und entschied sich, sie kennenzulernen. Er fuhr zu ihrer Schule im absoluten Brennpunkt von New York. Das größte Problem, so erklärte Mrs. Lopez, die Schulleiterin, ihm dort, sei, dass niemand etwas von ihren Schülern erwarte: „There are children here that need to know that they are expected to succeed”
Vor wenigen Tagen saß ich in einer Literaturwissenschafts-Vorlesung an der Universität Bonn (“Wiege der Romanistik”). Alle Studenten, die an dieser Vorlesung teilnahmen, studieren Hispanistik und besuchten die Vorlesung im Rahmen ihres Studiums. In der Probeklausur sollte ein Thema der Vorlesung auf einen spanischen Text angewandt werden. Ich las den Text und war perplex, als ich sah, dass der gleiche Text darunter noch mal auf Deutsch abgedruckt war. „An den Spanisch-Kenntnissen soll es ja nicht scheitern!“, erklärt der Professor und verwunderte mich noch mehr. Wieso darf es in einem Spanisch-Studium nicht an den Spanisch-Kenntnissen scheitern?
Ich fühlte mich an die Schulzeit erinnert, in der die Lehrer bemüht schienen, jeden Schüler irgendwie bis zum Abitur mitzuziehen. Wo das inhaltlich nicht möglich war, da wurde ihm zumindest eine ‘Vier’ gegeben, kein Defizit, so dass er das Abitur noch bekam. Ist das nicht genau der falsche Ansatz? Demotiviert das nicht Schüler, sich anzustrengen, sich Noten zu erkämpfen und selbst zu verdienen? Wenn Schüler im Fremdsprachen-Unterricht den Sinn eines Textes nicht einmal ansatzweise erschließen können und dennoch ein „ausreichend“ auf dem Zeugnis bekommen, dann wissen sie genau, wieso sie diese Note bekommen haben. Und sie wissen, dass sie sich auch in Zukunft nicht anstrengen müssen um ihre Ziele zu erreichen.
Es geht absolut nicht darum, auszusieben oder darum, dass weniger Schüler ihr Abitur machen sollten. Es geht viel eher darum, dass es nicht das höchste Ziel sein darf, jedem am Ende ein Abschlusszeugnis in die Hand zu drücken. Schüler und Studenten sollen wissen, dass von ihnen Leistungsbereitschaft erwartet wird. Und dass sie ohne diese nicht weiterkommen.
Vidal, der Junge aus New York, wurde in der letzten Woche zunächst von Ellen in ihre Fernsehshow, dann von Barack Obama ins Weiße Haus eingeladen. Auf einer Internetseite wurde Geld für Vidals Schule gesammelt. In wenigen Tagen kamen dort 1,25 Millionen Dollar zusammen. Dieses Geld will die Schulleiterin nutzen, um in Zukunft mit jeder Klasse nach Harvard zu fahren und den Schülern so zu zeigen, dass es keinen Ort gibt, an den sie nicht gehören. Wenn sie sich anstrengen.
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